Gottes Werk und Teufels Beitrag USA 1999 – 126min.

Filmkritik

Von Geburtshelfern und Apfelpflückern

Ein weiterer John Irving-Roman kommt auf die Leinwand: Lasse Halmstrom drehte mit Michael Caine und Tobey Maguire und schuf mit sieben Nominierungen einen der Favoriten der diesjährigen Academy Awards. Gereicht hat es letztlich für zwei Oscars.

Verfilmungen von Bestsellern sind selten ein glückliches Unterfangen. Den ausufernden Kosmos eines Romans auf zwei Stunden zu komprimieren ist oft unmöglich und lässt jene, die das Buch bereits vor dem Kinobesuch gelesen haben, mit unzufriedenen Gesichtern zurück. Noch schlimmer muss es dem Autor ergehen. John Irving hat vielleicht auch deswegen seinen Roman "The Cider House Rules" gleich selber zu einem Drehbuch umgearbeitet - und wurde für diese Arbeit prompt mit einem Oscar ausgezeichnet.

Die Filmversion ist eigentlich nur ein Fragment des Romans. Viele Protagonisten aus dem Buch tauchen hier gar nie auf, die Geschichte wurde von Dekaden auf wenige Jahre reduziert. Doch das Kernstück der Geschichte blieb erhalten und lässt unter der Regie von Lasse Halstrom (What's eating Gilbert Grape?) nicht viel zu wünschen übrig. Die Kombination von Irvings Vorliebe für Charles Dickens und Hallstroms Talent für die visuelle Umsetzung von Jugenderinnerungen erweist sich als eine überaus glückliche Allianz.

Das erwähnte Kernstück der Geschichte dreht sich um den Waisenknaben Homer (Tobey Maguire), der unter der Aufsicht des Waisenhausarztes Wilbur Larch (Michael Caine) im unschuldigen New England (USA) der 40er Jahre aufwächst. Larch ist Herbergsvater, Waisenhausdirektor und Chefchirurg in einem. Er bringt die Kinder unfreiwilliger Müttern zur Welt, bietet aber seine Dienste auch für Abtreibungen an. An seiner Seite wächst Homer zum talentierten Chirurgen heran, ohne je Medizin studiert zu haben. Homer spielt gern die Hebamme, weigert sich aber, Abtreibungen vorzunehmen. Kaum dem Teenageralter entwachsen, packt Homer eines Tages die Gelegenheit beim Schopf und verlässt das Waisenhaus zusammen mit dem Militärpiloten Wally (Paul Rudd) und seiner hübschen Freundin Candy (Charlize Theron), die für eine Abtreibung nach St. Clouds gekommen war.

Auf sich alleine gestellt findet Homer als Apfelpflücker sein Glück auf einer Plantage. Mit den schwarzen Angestellten teilt er eine Holzhütte, in denen die Benimmregeln (die "cider house rules" eben) angeschlagen sind. Schon bald muss der Filmheld merken, dass hier andere Regeln gelten als innerhalb der schützenden Waisenhausmauern. Angesichts des Inzests zwischen einem Pflücker (Delroy Lindo) und seiner Tocher (Erykah Badu) stürzt sein moralisches Gebäude in sich zusammen.

"The Cider House Rules" macht keinen Hehl aus seiner Sentimentalität. Der Diskurs pro und kontra Abtreibungen - in den USA nach wie vor ein heikles Thema - ist am Ende nur ein Mittel zum Zweck, nämlich Moralvorstellungen im allgemeinen zu hinterfragen. Die Fabel vom jungen Mann der in die Welt hinaus geht, seine Unschuld verliert und dabei die Lektionen des Lebens lernt, ist klassische Kinounterhaltung, die in Hollywood leider immer seltener produziert wird.

Die grösste Stärke des Films liegt zweifellos im Talent des Regisseurs, mit Schauspielern umzugehen. Michael Caine hat den Oscar für seine Nebenrolle als Dr. Larch erhalten und die Jungtalente Tobey Maguire und Charlize Theron zeigen, dass ihr derzeitiger Erfolg nicht von ungefähr kommt. Der Film bietet eine der besten Ensembleleistungen des Jahrgangs 1999 und ist schon allein deshalb sein Kinoticket wert.

17.02.2021

4

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Kommentare

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Urs23

vor 13 Jahren

Schöner Film, kommt aber bei weitem nicht an die literarische Vorlage heran.


colette

vor 17 Jahren

die oscars sind einfach spitze! sie nomminieren immer die wahren meisterwerke! dieser film geht unglaublich unter die haut! mega darsteller!


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