Die Farben des Paradieses Iran 1999 – 90min.

Filmkritik

Rang-e khoda - The Color Of Paradise

Flavia Giorgetta
Filmkritik: Flavia Giorgetta

Majid Majidis oscarnominierter Film erzählt eine altbekannte Geschichte: Der körperlich Blinde ist derjenige, der die Wahrheit erkennt, während der Sehende erst durch eine Katastrophe in sein Herz blickt.

Der achtjährige, blinde Mohammad (gespielt vom blinden Mohsen Ramezani) muss am Schluss des Schulsemesters länger als seine Freunde darauf warten, abgeholt zu werden. Sein Vater Hashem (Hossein Mahjub) fühlt sich von Gott bestraft: Als Witwer muss er sich um seinen behinderten Sohn kümmern, was seine geplante Ehe mit einer streng islamischen Frau gefährden könnte. Doch der Schulvorsteher gewährt dem weinerlichen Witwer keine Ausnahme; Mohammad kann die Ferien nicht in der Schule verbringen. Die beiden reisen mit dem Bus und zu Pferd lange durch eine mal karge, dann üppige Landschaft, die der Knabe viel deutlicher wahrzunehmen scheint als der sehende Vater. In seinem Heimatdorf angekommen verbringt Mohammad die Tage mit seinen beiden Schwestern und seiner grandiosen Grossmutter (Salime Feizi musste mit allen Mitteln überzeugt werden, dass ihre Schauspielerei keine Gotteslästerung sei). Es gibt keine Elektrizität oder fliessendes Wasser im Dorf; der Vater rasiert sich am Fluss, die Kinder färben Wolle mit selbst hergestellten Pflanzenfarben. Mohammad geniesst jede Minute in der Natur und brilliert mit seinem Wissen in der Schule seiner Schwestern. Er beweist, dass er auch als Blinder Spielkamerad sein kann, und dass seine Behinderung seine Intelligenz und Herzlichkeit keineswegs beeinträchtigt. Doch sein Vater fühlt sich überfordert und sieht in seinem Sohn bloss ein Hindernis für seine geplanten Hochzeit, weshalb er den Jungen bei einem entfernt lebenden, blinden Zimmermann in die Lehre schickt. Erst nach einem Verlust merkt Hashem, wie sehr er seinen Sohn liebt, und wie egoistisch er sich verhalten hat, ohne je auf Mohammads Gefühle Rücksicht zu nehmen.

Trotz der strengen Zensur boomt das Filmgewerbe im Iran; neben Kiarostami hat sich Majid Majidi, der bereits 1999 mit seinem Children of Heaven für einen Oscar nominiert wurde, im Ausland einen Namen gemacht mit seinen lyrischen Filmen, in denen er Kinder zu schauspielerischen Höchstleistungen bringt. In seinem jüngsten Werk erzählt er eine so einfache wie klassische Fabel und verlässt sich dabei auf seine durchwegs überzeugenden Darsteller. Der blinde Mohsen Ramezani spielt Mohammads Mischung aus kindlicher Neugierde, vorpubertärem Trotz und weiser Einsicht in das Wesen seines Vaters so gut, dass man sich fragt, wie der Regisseur das Kind zu so professionellem Schauspiel gebracht hat. Hossein Mahjub verleiht dem Vater ebenfalls eine nötige Vielfalt; wenn Hashem zunächst bloss egoistisch wirkt, schimmert mit der Zeit auch Wärme durch; der Vater kann also im Konflikt nicht einfach zum Sündenbock abgestempelt werden.

Wenn man nicht gerade von den emotionalen Spannungen zwischen Vater und Sohn berührt ist, hält man den Atem an ob der farbenprächtigen Natur des Nordirans. Wie Majidi sagt, wird die Landschaft zu einer eigenen Darstellerin im Film, die aber immer der Geschichte dient. So verdeutlicht die Blumenpracht Mohammads momentane unschuldige Freude an seiner Rückkehr; später verstärkt dichter Nebel das ahnende Gefühl der Unheimlichkeit, als der Vater seinen Sohn reuevoll aus dem Exil zurückholt. The Colour of Paradise verbindet die Stationen der märchenhaften Handlung mit einer Bildsprache, die einen so sehr in den Bann zieht, dass man hofft, der Abspann möge sich möglichst lange mit dem Erscheinen gedulden.

25.05.2021

5

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