Harry meint es gut mit dir Frankreich 2000 – 116min.
Filmkritik
Dein Freund und Mörder
Harry, ein lange nicht gesehener Freund dringt in das von Überarbeitung und Generationenkonflikten geprägte Familienleben von Michel, Claire und ihrer drei kleinen Töchter ein. Als ihm bewusst wird, wie sehr sein Freund unter der familiären Verpflichtung leidet, beginnt er, ihn daraus zu befreien, indem er zunächst dessen Eltern umbringt. Der zweite Langspielfilm des in Frankreich arbeitenden Deutschen Dominik Moll wurde für die Goldene Palme von Cannes 2000 nominiert. Eine gelungene Mischung zwischen Kammerspiel und Thriller, hervorragend gespielt und inszeniert.
Michel (Laurent Lucas) ist Lehrer. Denn Michel hat eine Familie zu ernähren. Eigentlich wollte er Schriftsteller werden. Als er im überhitzten Auto mit seiner Frau Claire (Mathilde Seigner) und den drei Töchtern an einer Autobahnraststätte halt macht, begegnet er in der Toilette dem alten Freund Harry (Sergi Lopez) aus dem Gymnasium. Man tauscht ein paar Oberflächlichkeiten aus. Wer hat wem beim Sport einen Zahn ausgeschlagen? Nun, es war nett sich wiederzusehen, mach's gut. Oder wollen wir den Abend gemeinsam verbringen? Zusammen mit seiner Geliebten Prune (Sophie Guillemin) schliesst er sich der Familie an, die unterwegs ist zu ihrem Ferienhaus in der Provinz. Jahre sind sie schon dran, die bescheidene Unterkunft zu renovieren, Michel macht alles von Hand. Weil ihm das Geld fehlt, um die Arbeiten in Auftrag zu geben, und weil er sich bewegen will. Das ist gesund. Harry braucht nicht zu arbeiten, vertreibt seine Zeit damit, die üppige Hinterlassenschaft seines Vaters zu verwalten. Er ist ein glühender Verehrer von Michels Schreibkunst, die seit den Gehversuchen in der Schülerzeitung brach liegt. Doch Harry kann noch sein Gedicht mit dem sinnigen Titel "Le long couteau de nuit" auswendig. Es schmerzt ihn, mitanzusehn, wie dieses grosse Talent vor die Hunde geht. Mit den Kindern, die unablässig quängeln und schreien. Mit der Ehe, die eine Schlechte-Laune-Gemeinschaft geworden ist. Mit den Eltern im Rücken, die den Mann behandeln, als wäre er noch ein Kind. Die ihm ungefragt das Badezimmer seines Ferienhauses mit scheusslichen rosa Kacheln versehen. Mit dem Vater, der ihn nötigt, sich von seinen zittrigen Händen die Zähne behandeln zu lassen. Das muss aufhören, meint Harry. Dem muss abgeholfen werden. So werden Michels Eltern seine ersten Opfer. Doch mit deren Beseitigung ist nicht das Problem beseitigt. Harry verstrickt sich immer mehr in die Idee, den Freund aus den Fesseln des Familien- und Ehelebens zu befreien...
Die Auseinandersetzung zweier so grundverschiedener Figuren wie Harry und Michel miteinander wurde zu Recht mit dem Widerstreit zweier Persönlichkeiten in ein und demselben Menschen verglichen. Harry verkörpert all das, was seinem Gegenüber entweder durch wirtschaftliche Zwänge vorbehalten bleibt, oder das er aufgrund seines sanften Gemüts und seiner übertriebenen Rücksicht niemals zum Ausdruck bringen könnte. Harry ist der tierische Mensch, der Eier ausschlürft nach dem Sex, dem es besser geht, seit seine Eltern tot sind, der sich nicht fragt, was er darf, sondern, was er will. In Michel dagegen liegen die nicht zum Ausdruck kommenden Talente mit den unausgelebten Lüsten und Unlüsten verschlungen tief unter einem allzu zaghaften Verhaltensmuster vergraben.
Die beiden Männerfreunde werden dramaturgisch sehr sorgfältig aufgebaut und sind hervorragend gespielt (Sergi Lopez gewann für seine Performance den European Film Award 2000 als bester Schauspieler). Moll legt dabei weniger Gewicht auf eine psychologisch detaillierte Herleitung ihrer Geschichte als auf eine scharfe Beobachtung ihres momentanen Verhaltens. Die oft tief angesetzte Kamera-Perspektive schafft da und dort ein Bild der Hauptcharaktere, wie es ein Kind oder jemand, der aus einem verborgenen Winkel die Szenerie erspäht, vor sich hätte. Schliesslich tut ein Soundtrack (David Sinclair Whitaker), gemischt aus Brocken schrecklich gutbürgerlicher Klaviermusik und beinah ebenso klassisch-unheimlichen Thrillermotiven, das Seine zur konstanten Steigerung von Spannung und Unbehagen.
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