Der Kreis Iran, Italien 2000 – 90min.

Filmkritik

Blick hinter den Tschador

Filmkritik: Senta van de Weetering

Seit zehn Jahren erobern mit schöner Regelmässigkeit Filme aus dem Iran an europäischen Festivals goldene Raubkatzen. Die meisten von ihnen zeichnen sich durch eindringliche Bilder und eine ruhige Erzählweise aus und erzählen mit Liebe zum Detail Geschichten aus dem Alltag. Jafar Panahi gehört zu den Regisseuren, die an der Entwicklung des iranischen Films massgeblich beteiligt sind. Le Cercle erhielt in Venedig den goldenen Löwen.

Ein Schiebefenster in einer Spitaltüre öffnet sich. Eine Krankenschwester ruft nach den Angehörigen von Solmaz Gholami. Eine alte Frau tritt näher. "Ihre Tochter hat geboren. Ein entzückendes Mädchen." Die alte Frau weigert sich schlicht, die Mitteilung zu glauben. Die Schwiegerfamilie, so erfährt man, wolle einen Jungen, nun werde sie die Scheidung verlangen.

Die Kamera folgt der Mutter aus dem Krankenhaus und bliebt dann an zwei Frauen hängen, die auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurden und nun zufällig vor dem Spital telefonieren (Nagress Mamizadeh und Maryam Parvin Almani). Für die nächsten fünfzehn Minuten erzählt der Film nun deren Geschichte, bis er sie wiederum verlässt und einer Frau folgt, die einen Arzt für eine Abtreibung sucht (Fereshteh Sadr Orafai), diese wieder aufgibt für eine Mutter, die aus purer Not ihre Tochter aussetzt (Fatemeh Naghavi) und von dort zu einer Prostituierten (Mojgane Faramarzi) wechselt. Sie wird am Schluss des Filmes ins Gefängnis gebracht, wo der Name Solmaz Gholami in einem Telefongespräch nochmals auftaucht. Sie sei in Block fünf verlegt worden, sagt ein Wärter ins Telefon. Den Grund kann man nur erahnen. Ein Kreis schliesst sich.

Einschränkungen überall

Der Titel kann sich jedoch genauso gut auf den engen Kreis beziehen, der iranischen Frauen auch ausserhalb des Gefängnisses als Handlungsspielraum bleibt. "Einer Frau allein ohne Studentenausweis darf keine Buskarte verkaufen." - "Eine Frau muss ohne Mann ihre Identitätskarte zeigen, wenn sie in einem Hotel übernachten will." - "Für eine Abtreibung brauchen Sie das Einverständnis Ihres Mannes." - "Sie sollten in der Öffentlichkeit besser nicht rauchen, das bringt Ärger." Auch kleine Dinge erfordern Mut im überwachten Leben dieser Frauen. Mut ist es auch, der Panahis Film auszeichnet und die Frauen unter dem Tschador sichtbar macht. Nicht nur hat er ihn an der Zensur vorbei gedreht. Er greift zum Beispiel auch als Erster in einem iranischen Film das Thema Prostitution auf.

Skizzenhafte Geschichten

Die Dialoge wirken natürlich, als wären sie nicht darauf hin angelegt, dem Publikum Informationen zu vermitteln. Manches erfährt man denn auch nie. Einige der Frauen haben sich im Gefängnis kennen gelernt. Sie wissen von einander, warum sie dort waren; im Gespräch besteht keine Notwendigkeit, sich darüber zu unterhalten, also bleibt es ungesagt. Die Kamera hält sich immer an die Frau, von der gerade erzählt wird. Wenn eine der anderen Frauen darin wieder vorkommt, so geschieht dies wie zufällig und ohne demonstrative Hinweise. Panahi nimmt das Publikum ernst, ohne dessen Erwartungen entgegen zu kommen. Er rollt fragmentarische Geschichten auf, die sich nicht zu einer Handlung, wohl aber zu einem Gesamtbild von Diskriminierung und Beengung fügen, aber auch von der Energie, mit der die Frauen ihren Alltag meistern.

07.08.2001

4

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