Lovely Rita Österreich 2001 – 80min.

Filmkritik

Das Fegefeuer der Biederkeiten

Björn Schäffner
Filmkritik: Björn Schäffner

"Lovely Rita"? Mitnichten. Das Spielfilmdebüt der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner ist ein ebenso unglamouröses wie radikales Dokument über die Triebe und Nöte eines Teenagers in den Klauen des Spiessbürgertums.

Es sei zum Verzweifeln, klagt der Mann seiner Frau. Wann sie endlich lernen werde, den Klodeckel zu schliessen? Sagt es zu ihr in einem Ton gehässiger Vertrautheit, der nach ausgetrockneter Leidenschaft, eintönigen Familienspaziergängen und stagnierender Beamtenlaufbahn tönt. Mahlzeit.

Spiessig sind sie, die Eltern der 14 jährigen Rita. Spiessig ihr Äusseres, spiessig die Nachbarschaft, spiessig die Wohnung. In dieser tristen Umgebung dämmert Rita (Barbara Osika) durch die Pubertät. Rita ist tollpatschig. Rita wird in der Schule wegen ihrem frühreifen Busen gehänselt. Rita macht alles falsch. Weswegen Rita auch immer Stubenarrest kriegt. Dabei sehnt sich Rita nur nach ein bisschen Anerkennung, ein wenig Zärtlichkeit.

Leben zwischen Stinkefinger und Beichtstuhl

Ritas Dasein pendelt zwischen Klassenzimmer und Beichtstuhl, zwischen Wiedergutmachungsbussi für Papa und Stinkefinger für die Schulkolleginnen. An Weihnachten werden Geschenke ausgetauscht, hohle Gesten, welche die Scheinheiligkeit als Ritual der familiären Eintracht zementieren. Dass in einem solchen Umfeld Ritas Geltungsdrang und sexuelle Entdeckungslust bald einmal zerstörerische Züge annimmt, überrascht wenig. Und es pocht dunkel die Einsicht, dass dies alles ein unrühmliches Ende nehmen wird.

Dies ist kein Teeniestreifen à l'américaine, in dem eine graue Maus zur Prinzessin gegeigt wird. Die österreichische Filmemacherin Jessica Hausner zeigt in ihrem Spielfilmdebüt das Leben eines Teenagers in der Provinz als gänzlich ungeschönte Existenz. "Lovely Rita" - im kollektiven Musikgedächtnis trällert leise der gleichnamige Lovesong der Beatles nach - erinnert in seinem semi-dokumentarischen Stil stark an Michael Hanekes Tabubrecher "Funny Games" und "Bennys Video". Wesentlich zum authentischen Feeling des Films tragen die Darsteller bei: "Lovely Rita" wurde ausschliesslich mit Laienschauspielern gedreht.

Lückenhafte Kamera

Hausners Film präsentiert sich in einem eigenwilligen Set Design, einem anarchischen 70er und 80er-Jahre-Mix. Der Hang zum schlechten Geschmack ist in "Lovely Rita" schon fast allgegenwärtig: wir begegnen ihm in heimeligen Küchenaustattungen, auf drolligen Pullovermustern und allerlei Nippeskommoden. Passend zu diesem Retro-Effekt zwängt die gelbstichige Videokamera von Michael Gschlacht die Darsteller in ein häusliches Ambiente, das sie käsig, ja furchtbar schlecht aussehen lässt.

Oft lässt uns die Kamera aber einfach im Stich, ist plötzlich weg, wo die Geschichte weiter gehen sollte. Aussparungen und Unterbrechungen gehören mit zum Spiel: sie schlängeln sich in schöner Regelmässigkeit durch das betrübliche Geschehen, das dadurch aber nichts von seiner Eindringlickeit einbüsst. Denn irgendwie passt die Lückenhaftigkeit bestens zur repetitiven, den Rhythmen von Ritas Alltag fügsamen Handlung. Autorin Hausner bringt es lapidar auf den Punkt: "Pech gehabt, das kommt halt nicht vor".

18.05.2021

4

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Kommentare

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Klaus1108

vor 15 Jahren

.. und doch würde man gerne mehr erfahren, zum Beispiel über ihre Eltern und auch über das Innenleben einzelner Charaktere.


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