Filmkritik
Von sprechenden Fischen und rituellen Waschungen
Ein Fisch auf einer Schlachtbank kommentiert in Denis Villeneuves "Maelström" die tragischen Ereignisse, die die Protagonistin des Films immer tiefer in einen Strudel (auf norwegisch Maelström) der Verzweiflung hinunterzieht. Diesem mythischen Fisch mit ewigem Leben, dem im Laufe des Films mehrmals von einem blutbesudelten Schlächter der Kopf abgehackt wird, überträgt der Regisseur die Aufgabe, die Realität mit der Fiktion zu verbinden.
Bibiane, erfolgreiche Jungunternehmerin in Montréal, treibt in der ersten Szene des Films ihr Kind ab. Der Zugriff auf die Wirklichkeit entgleitet ihr daraufhin immer mehr. Sie irrt durch die der Stadt, trifft Freunde und scheint doch völlig in ihrer schuldbeladenen Welt befangen. Kurz darauf wird sie von ihrem eigenen Bruder aus der gemeinsamen Firma entlassen. Sie entflieht in die Unwirklichkeiten des Nachtlebens und flüchtiger Affären. Nach einer durchzechten Nacht fährt sie einen alten Mann auf der Strasse an und begeht Fahrerflucht. Dass der alte Fischer in seiner Wohnung an seinen Verletzungen gestorben ist, erfährt sie erst Tage später aus der Zeitung. Die beinahe rituell anmutende Waschung und schliesslich Opferung ihres Wagens sind verzweifelte Versuche, sich von dieser erneuten Schuld zu befreien. Doch wird sie getrieben, noch weiter zu gehen, um endlich wieder mit ruhigem Gewissen leben zu können. Als sie im Krematorium nach der Asche des Toten fragt, trifft sie dort auf dessen Sohn Evian. Doch wie kann sie, die schuld am Tod seines Vaters ist, ihm je ohne Gewissensbisse in die Augen sehen? Indem sie eine zweite Chance und damit sozusagen ein neues Leben bekommt.
Der Erzähler-Fisch lässt uns immer wieder an einen unwirtlichen Ort zurückkehren, der mit seinem roten, höllenähnlichen Interieur in krassem Gegensatz zum Rest des Films steht. Die reale Welt, die Grossstadt Montréal im Jahr 2000, in der Bibiane haltlos und auf sich allein gestellt immer weiter in den Strudel hineingezogen wird, ist in kühles Blaugrün getaucht. Wasser – als heilsames und gleichzeitig zerstörerisches Element - ist denn auch das Leitmotiv des Films. Regisseur Denis Villeneuve zeigt seine Hauptdarstellerin Marie-Josée Croze, wie sie sich nach der Abtreibung immer wieder wäscht oder nach dem Unfall ihr Auto zu reinigen versucht. Er zeigt sie gerne in Nahaufnahme und betont dadurch auch wie sich ihre Sicht auf die Welt immer mehr verengt auf ihr eigenes, schuldiges Ich, vor dem es kein Entrinnen gibt. Die Ästhetik wird in "Maelström" etwas gar offensichtlich dazu verwendet, Thematik und Psychologie der Figuren zu unterstreichen, was manchmal atemberaubend schöne Bilder zulässt, aber manchmal auch beinahe zu viel wird. Man will als Zuschauerin weg von all diesen Schuldzuweisungen und ist froh, wenn sich der Blick öffnet, etwa als Bibiane versucht, ihr Auto in das Hafenbecken zu stossen.
Der Titel "Maelström" lässt zwar auf einen norwegischen Film schliessen, doch Regisseur, Produktion und SchauspielerInnen stammen aus Kanada. Norwegen, bei dem sich der Regisseur am Anfang des Films für etwaige klischierte Darstellungen entschuldigt, wird hauptsächlich durch Anspielungen erwähnt und in der Schlusssequenz gezeigt. Der Fischer, den Bibiane anfährt, stammt ursprünglich aus dem Land der Wikinger.
Trotz seiner zeitweiligen inhaltlichen Schwere gewinnt "Maelström" durch den doch sehr absurd anmutenden sprechenden Fisch, witzige Zwischentitel und einige überraschende Wendungen in der Geschichte eine schöne Verspieltheit. Und die junge Frankokanadierin Marie-Josée Croze, die in ihrem Heimatland schon lange keine Unbekannte mehr ist und nächstens in Atom Egoyans neuem Projekt "Ararat" mitspielt, zieht einen in ihren Bann.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung