Filmkritik
Verrückt, verliebt, verstimmt
Der Waliser Simon Cellan Jones, bislang ein Fernsehfilmer ("Cracker", "Your Dreams"), verarbeitet in seinem ersten Kinofilm ein Bühnenstück, das in England bei seiner Erstaufführung viel Aufsehen erregt hat. Hauptdarsteller Daniel Craig ("Love is the Devil", "Tomb Raider") wurde für seine Parforce-Leistung als schizophrener Ray mit einem Britischen Filmpreis für den besten Hauptdarsteller belohnt.
Ray (Daniel Craig) wird aus der Psychiatrie entlassen. Er sei nicht verrückt genug, sagt man. So zieht er zu seinem Bruder Pete (David Morrissey), der sich rührend um ihn sorgt. Im kleinen Restaurant des Bruders kann sich Ray sogar nützlich machen. Und er kann auch nichts tun. Dann ist er Flaneur, ganz hin in der eigenen Welt, geschaffen vom Wechselspiel zwischen eigenem Phantasieren und den Reizen, die London bietet. Der Metropole Schönste ist natürlich eine sie: Laura (Kelly Macdonald). Eine grosse Liebe wächst. Zwei Menschen werden des anderen Halt in der Verrücktheit ihrer ungeordneten Leben. Bloss: Auch Medikamente sind es, die Ray unter Kontrolle halten. Als Ray sie im Übermut des Glücks in den Wind wirft, gerät vieles aus der Bahn.
Die Presse sagt fast einstimmig: Der Film gehe auf feine Art mit dem schwierigen Thema Schizophrenie um. Es sei dem Regisseur gelungen, die Geistesstörung mit filmischen Kunstgriffen, Digital-Video-Sequenzen nämlich, als visuelle Halluzinationen stimmig, ja poetisch einzufangen. Ehrlich sei der Film, sucht er Ray doch nicht nur als Kranken zu bemitleiden, sondern stellt seinen Autismus auch in seiner Bedrohlichkeit heraus. Der Film sei vielstimmig und zwar nicht ohne nachhaltigen Unterton. Denn nicht nur Ray ist es, der Stimmen hört. Alle Figuren sind auf dem Weg, ihre innere Stimme hören zu lernen. Und zuletzt, so sagt die Stimme der Presse auch, habe Simon Cellan Jones es gekonnt vermieden, den starken Vorbildern zu verfallen, die das Kino in Sachen Verrückte kennt. "Some Voices" ist weder "Rainman", und schon gar nicht "Einer flog über das Kuckucksnest".
Das stimmt alles. Aber dann meldet sich noch diese andere Stimme. Sie sagt: Das ist doch alles so handzahm. Jones vergibt die Möglichkeiten eines radikalen Subjektivismus, deren Darstellung er in den Flaneurszenen verspricht. Schade, gewinnt der Film nicht die nackte Brutaliät, jenen ständigen Supergau, den man am britischen Kino so lieben kann, sondern überantwortet sich einer naiven Symbolik, die nicht mehr wiederholt als: Das Leben ist ein Labyrinth. Und ganz zum Schluss möchte die Stimme fragen, ein klein wenig verstimmt schon: Warum sollen wir immer denken müssen, dass in jedem Verrückten ein kleiner Künstler schlummert? Aber kaum ist das alles ausgesprochen, sagt sie bestimmt: "Some Voices" ist zwei Stunden gute Unterhaltung. Das auf jeden Fall.
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