Filmkritik
Fies das Leben
Das neuste Werk von Independent-Filmer Todd Solondz wirft einen ebenso unerbittlichen wie gequälten Blick in die Seele von Amerikas Suburbia: "Storytelling" balanciert gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen beissender Sozialsatire und cineastischer Freakshow.
Todd Solondz liebt das Abgründige. Führte uns sein Erstling "Welcome to the Dollhouse" vor, was für ein Spiessrutenlauf die Pubertät sein kann, sezierte "Happiness" die Neurosen und sexuellen Störungen dreier Erwachsener. Kein von Glück erfüllter Film ist auch "Storytelling": Deftige Themen wie Rassismus, Homosexualität, Faschismus, Sex mit Behinderten und Frauenfeindlichkeit stehen auf der Agenda. Kommt hinzu, dass durch Solondz' filmisches Universum vorab Aussenseiter geistern, karikaturenhafte Loser, wie sie uns zuletzt etwa in Terry Zwygoffs "Ghost World" begegnet sind.
"Storytelling" besteht aus zwei Episoden. Die erste, "Fiction" genannt, handelt von den Teilnehmern eines "Creative writing"-Seminars. Vi (Selma Blair), eine Studentin mit einer durch und durch politisch korrekten Gesinnung, ist mit dem an einer Hirmlähmung leidenden Marcus (Leo Fitzpatrick) zusammen. Als der schwarze Pulitzer-Preisträger und Kursleiter Mr. Scott (Robert Wisdom) Marcus' unverkennbar autobiographische Kurzgeschichte vor der versammelten Klasse als selbstmitleidiges, pathetisches Wortgesäusel demaskiert, bricht die Beziehung zwischen Vi und Marcus auseinander: Nicht zu Unrecht hält Marcus Vi vor, sie sei nur an seiner Krankheit und nicht an ihm selbst interessiert. Als sich Vi daraufhin wie aus Trotz ins Schlafzimmer von Mr. Scott begibt, gerät die Begegnung mit dem sexuellen Mythos der schwarzen Hautfarbe zum Desaster.
"Non-Fiction" macht den längeren zweiten Teil des Films aus. Der erfolglose Kulturtreibende Toby Oxman (Paul Giamatti) findet im bedröhnten Slacker Scooby (Marc Webber) das geeignete Sujet für einen Dokumentarfilm über das Leben eines durchschnittlichen Highschool-Schülers. Scooby, dessen einzige Ambition darin besteht, dereinst Assistent des TV-Talkmasters Conan O'Brien zu werden, lebt gemeinsam mit seiner gutbürgerlichen jüdischen Familie in der Vorstadt. Vater Marty (John Goodman) führt mit polternder Stimme sein Regime am Essentisch, Mutter Fern (Julie Hagerty) gaukelt eitel Familienharmonie vor, der mittlere Sohn Brady (Noah Fleiss) spielt Football und macht sich wegen Scoobys angeblicher Homosexualität Sorgen um seinen guten Ruf an der Schule. Mikey (wunderbar altklug: Jonathan Osser), der jüngste Sohn ist der Streber der Familie und fühlt sich zu wenig beachtet.
Wie Solondz seine Figuren gegen einander auflaufen und scheitern lässt, ist mal komisch, mal hinterhältig und mal makaber. Wenn einem dabei mitunter das Lachen im Halse stecken bleibt, ist dies wohl ganz die hintersinnige Absicht des Regisseurs. Solondz' Gespür für Dialog und Inszenierung - von boshafter Intelligenz zeugt etwa die Szene, in welcher der junge Mikey seinen Vater unter Hypnose dazu bewegt, das mexikanische Hausmädchen (Lupe Ontiveros) zu entlassen - lassen den Kinobesuch zum Genuss geraten. Mit von der Partie ist übrigens auch Franka Potente ("Lola rennt") als Produzentin von Oxmans Dokumentarfilm. Fast ein wenig schade ist, dass in hiesigen Kinos nicht die zensurierte US-Fassung zu sehen ist. Die drastische Sexszene zwischen Vi und Mr. Scott war dem erzkonservativen amerikanischen Filmverband MPAA nicht geheuer, worauf Solondz die semipornographischen Details demonstrativ mit einem roten Viereck überdeckte. Als ob sein Film nicht schon so Gesellschaftssatire genug gewesen wäre.
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