Filmkritik
Endstation
Carlos Reygadas Erstling ist ein Film der Extreme: Ein Selbstmordkandidat zieht sich ins abgeschiedenste Innere Mexikos zurück, um dort von der Welt zu gehen - Ein optimales Setting, um das Beste und das Schlechteste im Menschen zu besprechen.
Lateinamerikanische Lebensfreude ist diesem Film etwa so fremd, wie Japan den Mexikanern. Soviel zum Titel. Vielmehr interessiert sich Reygadas für Charaktere, die selten Protagonisten sind und unverhofft aufeinander treffen: ein hinkender, verzweifelter und dennoch privilegierter Mann um die Sechzig (Alejandro Ferretis) und eine alte, ungebildete Frau, die ihr abgeschiedenes Heimatdorf nie verlassen hat und trotzdem nicht unglücklich ist (Magdalena Flores).
Die atemberaubende Landschaft, die von der Kamera in langen Panorama-Einstellungen abgetastet wird und die Atmosphäre sind es, die das ungleiche Paar in einen tranceartigen Zustand bringen, in welchem plötzlich alles möglich ist: Ihre Beziehung gipfelt in einer rohen fleischlichen Vereinigung.
Die bizarre Handlung liefert den Resonanzkörper für die eigentlichen Themen dieses Dramas. So wird in den Interaktionen der Hauptdarsteller im Dekor unerträglichster Langsamkeit über Religion, Liebe, Hass, Leben und Tod philosophiert. Elementares und Universales liegen auf der Schlachtbank.
Reygadas ungehobelte Menschenstudie ist sehr wohl optimistisch. Für den potentiellen Selbstmörder endet der Balance-Akt über die Abgründe erfreulich: die Provokation erweckt ihn wieder zum Leben. Das Risiko, das der Jurist mit Spezialgebiet bewaffnete Konflikte in seinem Erstling eingeht, ist aber auch beängstigend.
Die Sinnesaggressivität dieser unästhetischen Geschichte resultiert aber vielmehr darin, dass man sich dem Film verweigert und irgendwann den Anschluss verliert. Reygadas engagierte und kompromisslose Suche nach neuen filmischen Möglichkeiten lässt aber auf spannende Folgewerke hoffen.
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