Eine andere Welt Algerien 2002 – 100min.

Filmkritik

L' autre monde

Filmkritik: Eduard Ulrich

Nach den witzig-ironischen Vorgängerfilmen "Bab El-Oued City" und "Salut cousin!" ist man gespannt, in welche andere Welt uns der algerische Regisseur Merzak Allouache diesmal entführt. Treffen wir Scheherazade oder eher Ali Baba und die 40 Räuber? Einen kritischen Blick auf rigide gesellschaftliche Regeln und etwas Spott dürfen wir in jedem Fall erwarten.

Die feierliche Barockmusik mag nicht ganz zu den hektischen Aktivitäten von Yasmine (Marie Brahimi) passen, deren Sinn wir genauso wenig zu erfassen vermögen wie sie ihre Ursache. Schon sitzt sie im Flugzeug nach Algerien, Kopf und Oberkörper mit dem typischen schwarzen Tuch verhüllt, das sie gerade eben noch in Paris erstanden hat. In Algier möchte sie zu ihrem Onkel, kann aber kein Wort Arabisch und ist schon an der Haustüre auf die Dolmetscherdienste ihres Taxifahrers angewiesen. So rätselt man weiter, warum eine junge Frau aus Frankreich Hals über Kopf in ein ihr so fremdes Land reist, obwohl es ihr in Paris gut zu gehen schien.

Noch weniger verständlich ist diese Reise unter dem Aspekt, dass in Algerien seit Jahren bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen: Auf der einen Seite steht die immer roher werdende staatliche Gewalt; auf der anderen Seite kämpfen islamistische Extremisten, denen immer wieder Gräueltaten bei Überfällen auf Soldaten und Zivilisten angelastet werden. Gerade diese Konstellation enthält den Schlüssel zur Lösung des Rätsels. Allouache hat sich in seinem neusten Spielfilm auf vermintes Terrain gewagt: Er behandelt ein Thema, das zum Beispiel aus den Staaten Südamerikas bekannt ist, in Algerien, einem Land, das als islamischer Staat mit kolonialer Vergangenheit und westlicher Prägung ein Paradebeispiel aktueller Krisenursachen abgibt.

Die semidokumentarische Machart des Streifens, mit häufigem Einsatz der Handkamera, gespielt von authentischen Mitwirkenden und gedreht an Originalschauplätzen, lässt uns die Episoden des überraschenden Einbrechens staatlicher oder guerillerischer Gewalt hautnah miterleben. Durch die Personalisierung werden die Angehörigen der beiden sich bekämpfenden Seiten menschlich, und man versteht, wie sie fast zwangsläufig in sich verhärtende, antagonistische Positionen hineingewachsen sind.

Die Kombination aus leichtfüssiger Inszenierung, unterlegt mit süffiger arabischer Popmusik, und dramatischen Vorgängen irritiert. Immerhin verzichtet Merzak Allouache weitgehend auf direkte Gewaltdarstellung. Seine Kritik an islamistischer Unterdrückung oder zwiespältigen gesellschaftlichen Konventionen fällt diesmal drastisch aus: Du darfst alles machen, solange Du nicht von anderen dabei gesehen wirst. Man darf ihm zugute halten, dass er uns einen Blick in mehrere andere Welten gewährt - verstehen werden wir sie wahrscheinlich nicht ganz

04.10.2004

3.5

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