Filmkritik
Wenn die Sonne nicht mehr scheinen will
Zwei Frauen und zwei Männer verbunden durch ihre gemeinsame Krankheit: Depression. Während eineinhalb Jahren wurden sie von Dieter Gränicher begleitet. Entstanden ist ein eindringlicher Film, der die Patienten während ihrem Klinikaufenthalt begleitet und mit ihnen den schweren Weg zurück ins Leben versucht.
Die Protagonisten dieses Dokumentarfilms leiden alle an schweren Depressionen. Sie sind gefangen in einem Loch - in ihrem Loch. Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder sein eigenes Schicksal. Wir begleiten Charles, Hélène, eine junge Frau, die ihres Arbeitgebers und sozialen Umfeldes wegen anonym bleiben will, und Bronislaw auf ihrem Weg durch das oftmals schattige Leben. Und wir wissen, sie stehen nur stellvertretend für eine nicht zu unterschätzende Zahl ebenfalls Betroffener. Charles sitzt an der Werkbank in einer Klinik, fertigt einen Aschenbecher an. Der Aschenbecher sei oft das erste, das in einer Klinikwerkstatt entstünde, erzählt er und lacht dabei. Man erinnert sich an seinen eigenen ersten Aschenbecher. Entstanden damals im Werkunterricht. Plötzlich werden Charles Augen feucht, er versucht die Tränen zu unterdrücken. Eben noch hat er gelacht. Man beginnt die Heimtücke der Krankheit zu begreifen. Ihre Unberechenbarkeit, die Ohmnacht, mit der man ihr gegenübersteht.
Hélène vertreibt ihre Zeit lieber mit Malen. Erfreut schaut sie auf ihr Kunstwerk, das sich auf grossem Papier vor ihr ausbreitet. Doch auf einmal - vermeintlich aus dem Nichts heraus - wird sie von der Traurigkeit wieder ergriffen. Und dann sitzt sie da. Starrt in die Leere des grauen, nicht sehr einladenden Aufenthaltsraums ihrer Klinik. Sie raucht. Und man erkennt, es scheint einen Grund zu geben für die Beliebtheit des Aschenbechers in der Werkstatt. Das Rauchen als Zeitvertreib in der elenden Monotonie der Tage.
Die junge Frau steckte in den Prüfungsvorbereitungen zur Matura. Dann wurde sie depressiv, brach die Matura ab. Für sie brach eine Welt zusammen. Sie liegt immer noch in Trümmern. Doch ihr Freund und ihre Mutter stehen ihr stets zur Seite. Ihr Vater dagegen versteht ihre Krankheit nicht. Ein Schmerz für die junge Frau - doch nur einer in einem Meer von Schmerzen.
Bronislaw schliesslich rundet das Quartett ab. Er improvisiert am Klavier oder unterlegt Trickfilme mit Musik. Ein geregeltes Leben, eine Aufgabe. Doch sein Gesicht lässt eine ungeheure Traurigkeit vermuten. Seine Augen sind leer, man erahnt das schwarze Loch dahinter. Vier Geschichte, vier verschiedene Leben, aber eine Krankheit.
Dieter Gränicher ist ein Dokumentarfilm gelungen, der eine ungeheure Intensität und Direktheit schafft. Der Zuschauer erlebt das Schicksal der vier Menschen aus nächster Nähe. Man leidet mit ihnen mit und fühlt sich ihnen verbunden, so dass ihre Geschichten einen nicht kalt lassen. Der Film überzeugt sicher auch daher, weil Gränicher sich Zeit liess für die Produktion. Viel Zeit. Während eineinhalb Jahren konnte er eine starke Beziehung zu seinen Protagonisten aufbauen. Er konnte deren Vertrauen gewinnen. Und dieses Vertrauen spürt man überall, in jedem Gespräch mit den Betroffenen. Man dankt Gränicher für seine seriöse und ausdauernde Arbeit, wodurch ein erstklassiges Dokument zur Krankheit Depression entstanden ist.
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