Gebrochene Flügel Israel 2002 – 83min.
Filmkritik
Die unerträgliche Schwere des Seins
Der erste Kinofilm des israelischen Regisseurs Nir Bergman ist die äusserst einfühlsame und verhalten optimistische Schilderung einer Familie in der Krise.
Maya (Maya Maron) liegt die Welt zu Füssen. Sie ist jung und hübsch, kann gut singen und hat jüngst ein Lied geschrieben, der das Zeug zum Hit hat. Doch die schwarzen Flügel, die Maya an der "Young Band Competition" in Haifa trägt, sind zum Fliegen nicht geschaffen. Überhaupt wird, wie der Titel nahe legt, in "Broken Wings" ("gebrochene Flügel") nicht abgehoben. Im Gegenteil: Seit Mayas Vater vor neun Monaten auf groteske, aber auch tief tragische Weise aus dem Leben schied, liegt ein bleierner Mantel über dem emotionalen Leben der Familie Ulman.
Jedes der fünf Familienmitglieder versucht, den Alltag best möglichst zu bewältigen. Alle trauern in ihrer ureigenen Weise, betreiben aber gleichzeitig eine dem Alter angemessene Art der Verweigerung. Nir Bergman schildert in treffenden symbolischen Bildern, wie die Trauer die Familie am Boden hält.
Mutter Dafna (überzeugend zerzaust: Orly Zilberschatz-Banai) arbeitet im Krankenhaus als Hebamme, entzieht sich der Familie zu Hause aber durch narkoseartige Schlafanfälle. Yair, einst hervorragender Student und glänzender Basketballspieler, hat die Schule geschmissen und verbringt seine Tage, als Maus verkleidet, mit dem Verteilen nihilistischer Flugblätter. Der zehnjährige Ido nässt derweilen sein Bett, schwänzt aus Angst vor grösseren Mitschülern die Schule und setzt seinen Mut auf die Probe, indem er ins leere Schwimmbecken springt. Und das fünfjährige Nesthäckchen Bar schliesslich leidet an furchtbaren Angstvorstellungen. Einzig Maya, die sich an Mutters Stelle um die kleineren Geschwister kümmert, scheint dank Gitarre und selber komponierten Liedern ihre Trauer im Griff zu haben.
Es braucht viel Courage, eine emotional derart aus den Fugen geratene Familie in den Mittelpunkt eines Films zu setzen. Noch viel mutiger aber ist es, die auch finanziell schwer gebeutelte Familie nicht mittels Glückslos oder Wunder zu erlösen, sondern sie, wie Bergman es tut, direkt in den Kollaps zu treiben: Eines Tages rasselt auch Maya in die Krise. Sie kommt zu spät zur Schule, ärgert sich über einen verpassten Auftritt, rennt einer bachab gehenden Liebe nach, legt sich mit einem Jungen ins Bett, vergisst darob ihre kleinen Geschwister abzuholen, die hilflos durch den verregneten Abend laufen. Es kommt schlimmer, als man es in seinen schwärzesten Träumen ausmalen kann
Trotzdem ist "Broken Wings" kein depressiver Film, sondern ein solides, humanes, glaubwürdiges und lebensnahes Stück Kino, das an die menschliche Fähigkeit glaubt, in Momenten tiefster Krisen wieder zu sich selber und zur Fröhlichkeit zu finden. Nir Bergman überrascht mit seinem Drehbuch mit viel Gefühl für emotionales Timing und die Absurditäten des Lebens. Er überzeugt durch präzise Dialoge, eine aufmerksam-elegante Kamera, vor allem aber durch eine exzellente Besetzung: Die Schauspieler verleihen ihren Figuren, von der Mutter bis zum kleinsten Familienmitglied, viel Charme, aber auch Eigenwilligkeit.
Scheint fast, als ob da in Israel ein Regisseur herangewachsen ist, der seinem Namensvetter aus Schweden nicht nur alle Ehre bereitet - sondern mit diesem auch ein wenig seelenverwandt ist.
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