Die Nacht singt ihre Lieder Deutschland 2003 – 95min.

Filmkritik

Sprachlos in Berlin

Filmkritik: Marc Mair-Noack

Bei einem jungen Paar mitten in Berlin läuft vordergründig alles bestens. Gerade erst sind die beiden glückliche Eltern geworden und leben in einer schönen Altbauwohnung am Prenzlauer Berg. Doch in Romuald Karmakars schwermütigen Drama nach einem Theaterstück von Jon Fosse braut sich hinter der Fassade langsam ein Drama zusammen, das eines Nachts zum grossen Eklat führt.

Warum viele Worte machen, wenn es auch fast ohne geht? In "Die Nacht singt ihre Lieder" beschränkt sich Regisseur Romuald Karmakar nur auf das Wesentliche: Und das sind zwei Leute, ein Baby, zwei Zimmer einer Altbauwohnung sowie jede Menge missglückte Kommunikation.

"Ich halte das nicht mehr aus" ist der erste Satz in diesem intensiven Drama, den die Frau (Anne Ratte-Polle) zu ihrem Mann (Frank Giering) sagt. Dieser ist ein äusserst erfolgloser Schriftsteller, der sich nach unzähligen Absagen von Verlagen mehr und mehr von der Umwelt abkapselt. Stattdessen liegt er tagtäglich auf seiner Couch und liest. Mit dieser Isolation kommt die Frau immer weniger zurecht. Als seine Eltern zu einem Höflichkeitsbesuch kommen und wegen der angespannten Atmosphäre schnell wieder flüchten, reicht es der Frau. Auch sie flüchtet, indem sie sich ins Berliner Nachtleben stürzt. Nun ist an der Zeit für den Mann, aus seiner Lethargie zu erwachen, will er seine Ehe noch retten.

Die Adaption des Bühnenstücks vom norwegischen Erfolgsautor Jon Fosse gelingt nicht nur wegen der prägnanten Regiearbeit von Romuald Karmakar ("Der Totmacher"), sondern vor allem auch wegen der Darsteller. Anne Ratte-Polle zeigt in ihrer ersten Filmhauptrolle ein starkes, äusserst präzises Spiel, und Frank Giering ("Funny Games", "Absolute Giganten") scheint in der Rolle des wortwörtlich lebens-müden Mannes aufzugehen.

Karmakar inszeniert den Konflikt der Beiden in einer bedrückenden, kammerspielartigen Atmosphäre. Fern von jeder Lebendigkeit und Unmittelbarkeit eines Dogma-Films wirkt "Die Nacht singt ihre Lieder" betont durchkonstruiert, nüchtern und abstrahiert.

Besonders das Spiel mit der Sprache hat es dem Regisseur offensichtlich angetan. Sämtliche Figuren reden in einer unechten Kunstsprache. Weder das Paar noch die Eltern kommen aus den leeren Worthülsen und Floskeln heraus, echte Kommunikation findet nicht statt. Die Konsequenz, mit der Romuald Karmakar auf eine reine Stilisierung anstatt auf Realitätsbezug setzt, ist gerade das Erfolgsgeheimnis von "Die Nacht singt ihre Lieder".

Es lohnt sich jedoch, darauf zu achten, dass man ja mit genug Enthusiasmus und Lebensfreude ins Kino geht, damit man die doch arg schwerblütigen 95 Filmminuten einigermassen ungeknickt übersteht.

25.05.2021

4

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