CH.FILM

Hildes Reise Schweiz 2003 – 90min.

Filmkritik

Reden lernen

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Vornerum ein schwules Roadmovie, hintenrum ein feinsinniger Streifen über die Fragen des Lebens, vor denen alle Menschen stehen - früher oder später: Durchaus ein Schweizer Spielfilm, den man sich ansehen kann, der dritte lange von Christof Vorster.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen? Stimmt nicht, wenigstens nicht im Falle von "Hildes Reise". Denn Hilde ist tschüss. Gestorben an AIDS. Schon Asche. Abgesehen davon ein er. Richtig gefolgert: Hilde war schwul. Dass ein toter Schwuler trotzdem eine Reise tut, verdankt er Rex (Michael Finger). Rex ist sein Ex, HIV-positiv und für das Eine besorgt, das Hilde testamentarisch verfügt hat: Meine Asche in den Atlantik bitte! Dass Hilde seine Reise fast nicht tut, verdankt er Steff (Oliver Stokowski). Steff ist nicht bloss Hildes Sex-Ex, sondern auch seine grosse Liebe und der Erbe seiner grossen Kasse - der die Rechnung ohne Hildes Mama (Heidi Maria Glössner) macht allerdings. Die verfügt wörtlich: Ich die Asche, Sie die Knete! Aber eben, da ist ja Rex, mehr als fest entschlossen, Hildes letzten Willen durchzusetzen. So tut der Tote mit den Exen seine Reise. Und wir haben was zu erzählen.

Zum Beispiel: Jawohl, man kann sich den Film von Christof Vorster auch dann anschauen, wenn man nicht schwul ist - man sollte sogar, am besten mit Frau, noch besser mit Affäre. Denn Vorsters dritter ausgewachsener Spielfilm handelt von etwas, das Geschlechtsreife jedwelcher Praeferenz angeht, auch wenn es beinahe so als Hysterie der 80er Jahre abgetan scheint, wie das Waldsterben. AIDS, so erinnert Vorster, gibt es immer noch. Und über AIDS soll man reden. Weil reden heisst Prävention. Dass diese so einfache wie wichtige Botschaft aus schwulem Munde vorgebracht wird, ist so gut wie kein Zufall, auch wenn gerade homosexuelle Kritikaster Vorsters Streifen deswegen kritisieren. Immer haben nur Schwule AIDS, so schreiben sie empört, als ob Hetis das Problem nicht kennten! Tun sie, sagen wir, aber sie reden nicht drüber.

Erzählen muss man auch auch: "Hildes Reise" ist keine weitere Coming-Out-Story und noch viel weniger eine jener schon länger angesagten Schwul-ist-Cool-Komödien. Christof Vorster interessiert sich weniger für das Klischee vom schwulen gleich schnellen Sex, als vielmehr erstens für das Defizit, das daraus erwächst, und zweitens für die allgemeinmenschlich höchst relevante Frage: Was zählt denn wirklich im Leben? Knete oder Asche? Geld oder Liebe? Lug oder Trug? Wie ist der Mensch nach dem Dahinscheiden eines Menschen, der ihm lieb war? "In der Nähe des Todes", so schreibt Christof Vorster selbst, " werden die Kategorisierungen aus unserem Alltag wertlos. Dort wird es echt ... Und sehr spannend." Wie wahr. Und wie fein erzählt, Herr Vorster!

Und zuletzt: "Hildes Reise" ist ein Roadmovie mit dem Drive, der seinem Thema angemessen ist. Mit Schauspielern, welche die komplex angelegten Figuren mit Leben zu füllen zu vermögen: Allen voran der junge Schweizer Michael Finger, den Menschen, die auch Hausgemachtes gucken, aus "Utopia Blues" kennen. "So viel zum Schweizer Film", bemerkte eine Kritikerin nach der Pressevorführung gleichwohl abschätzig; sie mag den moralisierenden Unterton moniert haben, der "Hildes Reise" mitunter leider innewohnt. Oder die etwas überzeichnete, gar eiskalte Frau Mama. Christoph Vorster hat trotzdem nicht wenig geleistet.

31.05.2021

3.5

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