Ricordati di me Frankreich, Italien, Grossbritannien 2003 – 118min.

Filmkritik

Eine Familie explodiert

Filmkritik: Simon Kern

Gabriele Muccino, Regisseur des italienischen Publikumserfolges "L’ultimo bacio" erzählt im Nachfolger, angesiedelt zwischen Gesellschafts- und Familiendrama, von einer Mittelstandsfamilie mit Auflösungserscheinungen. Ängste und Bedürfnisse werden zum Prüfstein, ob zusammenbleibt, was zusammengehört. Dabei fordert Muccino das Publikum mit erheblicher erzählerischer Unrast.

"Ricordati di me" erreicht uns zu Ende der Sommerferien – die wohl auch dieses Jahr für manch eine Familie zum veritablen Prüfstein geworden sind. Die gute Nachricht: Der lautstark ausgetragene Zwist um den blöden Besuch der langweiligen Kirche wird den Familienfrieden nicht anhaltend beeinträchtigen. Viel gefährlicher, versucht Gabriele Muccinos neuer Film aufzuzeigen, ist das schleichende Auseinanderdriften, der Verlust des Willens, es miteinander auszuhalten. Dieser Wille ist bei der mittelständischen Familie Ristuccia, die Muccino in seinem Drama porträtiert, kaum mehr festzustellen.

So quasi als emotionaler Brandbeschleuniger wirken allerlei Ängste und Bedürfnisse, denen sich die Ristuccias zu stellen haben. Vater Carlo (Fabrizio Bentivoglio) trifft seine nie überwundene Jugendliebe wieder: Die schöne Alessia (Monica Bellucci), die ihm nicht nur Hoffnung auf längst vergessene Gefühle beschert, sondern auch den Mut, die Arbeit an seinem angestaubten Romanentwurf endlich wieder aufzunehmen. Verjährte Ambitionen regen sich aber auch in der von Selbstzweifeln zerfressenen Mutter Giulia (Laura Morante), die es nochmals auf der Theaterbühne versuchen will – stets darauf lauernd, dass jedermann ihr schreckliches Untalent entdeckt. Geradezu banal lässt sich das Problem von Sohn Paolo an, der "bloss" Freunde und eine Liebe sucht - beides soll ihm eine währschafte Marihuana-Orgie verschaffen. Keine Konfrontation scheut schliesslich die 18-jährige Tochter Valentina: Für den grossen Traum, in einem samstagabendlichen TV-Varieté im Hintergrund tanzen zu dürfen, geht das bildhübsche Mädchen geradezu über Leichen.

Als eine mediterrane Variante von Ang Lees Gesellschaftsportrait "The Ice Storm" könnte man sich den weiteren Verlauf der Handlung mit etwas Fantasie vorstellen. Anders als Lee unterläuft Regisseur und Drehbuchautor Muccino jedoch das Missgeschick, die katastrophale Zerrüttung der Familie mit dem entsprechenden Zeter und Mordio vermitteln zu wollen. Von der ersten bis zur letzten Minute ist die Inszenierung atemlos: gesprochen wird wenig, geschrien viel – und das verstohlene Weinen hinter dem Steuer des Autos muss innert gerade mal drei Sekunden erledigt sein. Dabei weiss Muccino, dass kleine Gesten allemal verletzender sind, als Scherben auf dem Küchenboden, und dass Gefühle auch mal nachhallen müssen. Was er mit allzu spärlichen Momentaufnahmen beweist, wie jener, in der Tochter sich Valentina auf dem Weg aus der Wohnung von der Mutter verabschiedet – den Vater aber keines Blickes würdigt.

Mit seinem unablässigen Fortissimo bringt Gabriele Muccino sich selbst in Bedrängnis. Als er im letzten, langen Filmdrittel die Schraube nochmals anziehen will, überspannt er den Bogen mit Klischees aus dem Repertoire einer TV-Soap, ein schlüssiges Ende will und will ihm aber partout nicht gelingen. So verlässt man den Film letztlich geschafft von all dem Gehetze – statt von einer Auseinandersetzung mit seiner Geschichte.

10.11.2020

2.5

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Kommentare

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monsdelion

vor 21 Jahren

dieser film wird brutal unterschätzt. inhaltlich tauchen, wie in der filmkritik erwähnt, gewisse klischees auf, die an die grenze gehen. aber fühlt sich italien nicht manchmal genau so an? dieses atemlose "a bout de souffle"-gefühl find ich gerade die hohe kunst des films. zugegeben, manchmal sind die figuren etwas überzeichnet. aber sie berühren. in diesem film konnte ich lachen, weinen und mich aufregen. war aber die längste zeit gefesselt von der erwartung der auflösung der story.
brillante kamerafahrten und interessante plot-wendungen machen ricordati di me zu einem "must see-film" im momentanen programm.
den film muss man sehen, wenn man:
the icestorm (ang lee)
oder american beauty (sam mendes)
mag.Mehr anzeigen


schwyzer

vor 21 Jahren

Sehr gelungener, unterhaltsamer und spannender Film! Ferner auch sehr humorvoll, obschon die Geschichte viel eher tragisch ist! Aber auf alle Fälle ein Film, den man weiterempfehlen muss! Auch die schauspielerischen Leistungen sind sehr gut; und dass der Film auf italienisch gesprochen wird, passt ausgezeichnet zu diesem Familiendrama.Mehr anzeigen


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