CH.FILM

Auch ein Esel trägt schwer Schweiz 2004 – 94min.

Filmkritik

Kunst kommt von Machen

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Wie das kurlige Blumenmannli von der Zürcher Bahnhofstrasse zum gefeierten Künstler wurde: Andreas Baumberger erzählt die unglaubliche Geschichte des Hans Krüsi in einem Dokumentarfilm.

"Art brut" wird jene Kunst geheissen, die von Menschen stammt, die sich wenig bis nichts dabei denken, wenn sie schaffen, was andere mir nichts, dir nichts "Kunst" nennen. Politisch Korrekte reden lieber von "Aussenseiter-Kunst", weil die, die sie schaffen, nie irgendwo drin waren: Nicht in Museen und schon gar nicht in irgendwelchen Akademien der Künste.

Aussenseiter-Künstler sind Menschen, so könnte man leicht salopp sagen, die Kunst machen, ohne es zu wissen und ohne es zu wollen. Genies sind sie (die einzig wahren!) in den Augen der einen, weil sie alles aus sich selber schöpfen, stets ein wenig minderwertig im gestrengen Blicke derer, für die ein Künstler nur sein kann, wer theoriefähig ist, für die Kunst nur heissen darf, was sich bezieht, und zwar auf die Welt oder wenigstens auf die der Kunst.

Hans Krüsi, dessen Geschichte Andreas Baumberger in seinem Dokumentarfilm "Auch ein Esel trägt schwer" erzählt, ist so einer, den man gemeinhin jener künstlerischen Zwischenwelt zuschlägt, deren Lichtgestalt Adolf Wölfli ist. Er wurde 1920 geboren, hat den Vater nie gekannt, eine mausarme Frau Mama, er war Pflegebub, Bauernknecht und Hilfsgärtner. Kunstschulen, Stipendien und das ganze Trallalla? Leider nein.

Hans Krüsi ruckelte noch bis in die 80er Jahre Tag für Tag im Zug von St. Gallen nach Zürich, um an der damals noch vornehmen Bahnhofstrasse seine Blumensträusse zu verkaufen. Daneben malte er wie ein Verrückter, zunächst Postkarten, dann im grösseren und grossen Stile, irgendwo in der Grauzone zwischen abstrakt, abgefahren, Kinderzeichnung und Appenzeller Bauernmalerei, er collagierte, installierte, fotografierte, montierte - bis ihn eines Tages ein findiger Kopf auf dem Flohmarkt entdeckte. Und so wurde aus dem Krüsi Hans der gefeierte Künstler Hans Krüsi.

Andreas Baumberger erzählt die Geschichte Krüsis so, wie man das halt eben so macht. Da ist viel Zeitzeugen-O-Ton aus dem Munde von Künstlern, Galleristen, Kuratoren, Freunden und solchen, die es gern gewesen wären, dazwischen - das eigentliche Herzstück des Films - alte Super 8-Aufnahmen, Resten-Verwertung aus studentischen Versuchen Baumbergers, sich Krüsi zu nähern, feines Footage von Gesprächen, Flohmarkt-Stöbertouren, Wohnung, einem Krüsi-Müsi sonder Massen.

Darunter sind einige grossartige Miniaturen, etwa wenn Krüsi in einer Fernseh-Sendung sein Mitbringsel - Kühe, naivisch der Innenseite einer aufgefalteten Milchpackung aufgetragen - als "Milchpackung" beschreibt; oder, wenn er heimlich mitgeschnittene Tonbänder abspielt, die hören lassen, wie ihm, dem scheinbar Leicht-Depperten, von so genannten Freunden Bilder abgeschnorrt werden wollen. Grossartig sind sie, weil sie Krüsi als einen zeigen, der eben doch einiges schlauer ist, als man denkt, ihn als einen entdecken, der überraschend genau zu wissen scheint, was er tut, oder mindestens so gut ist, dass es keine Rolle mehr spielt, ob er es nun weiss oder nicht.

Andreas Baumbergers Dokumentarfilm ist eine Hommage an Hans Krüsi, in jeder Minute das liebevolle Werk von einem, der den Krüsi selber gekannt und, jawohl, einfach gern hat. Und genau daraus erwächst die Schwäche des Films. Man hätte Baumberger mehr Mut gewünscht, das Phänomen Krüsi (kunst)historisch stärker zu verorten, den ganzen Krüsi-Hype der 80er Jahre stärker zu kontextualisieren, und mehr als Krüsis Leben auch dessen Kunst ins Zentrum zu stellen, auch wenn diese in hohem Masse gerade sein Leben war. Sie hätte auch einem kritischeren Blick standgehalten.

02.06.2004

3.5

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Kommentare

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patrick75

vor 20 Jahren

Hervorragender Schnitt


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