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Bab'Aziz - Der Tanz des Windes Frankreich, Deutschland, Ungarn, Iran, Schweiz, Tunesien, Grossbritannien 2004 – 98min.

Filmkritik

Magie des Erzählens

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

"Bab Aziz" des Tunesiers Nacer Khemir ist ein Fest fürs Auge und eine Hymne aufs Erzählen und die Liebe.

In der unendlichen Weite der Wüste sind ein Mädchen und sein blinder Grossvater, ein Derwisch, unterwegs zum Derwischtreffen, das nur alle dreissig Jahre tagt. Wo es stattfinden wird, wissen die Teilnehmer noch nicht, doch wird die Wüste jedem einzelnen den Weg dorthin weisen, solange er daran glaubt.

Die Kraft der Bilder und die Atmosphäre tragen massgeblich zur zauberhaften Wirkung dieses Films bei: Die Kamera gleitet über die Dünen und hin und wieder hört man nur den Wind - oder die Glöckchen am Sattel eines Pferdes.

Wüsteneinsamkeit und Stille stehen leuchtenden Farben und der Begegnung mit anderen Menschen - von Musik und Gesang begleitet - gegenüber und lassen letztere umso intensiver hervortreten. Zahlreiche Menschen begegnen Grossvater und Enkelin in der Einöde. Sie alle sind Suchende nach Sinn, nach der Geliebten und nach der Gerechtigkeit. Da ist etwa der Sänger und Dichter Zaid, der seine Geliebte verloren hat oder Osman, der sich unsterblich in eine schöne Frau auf dem Grund eines Brunnens verliebt hat, ihr nachgesprungen ist und sich in einem prachtvollen Palast wiederfand.

Das Wasser, so scheint es zuweilen, ist mit höherem geistigen Dasein verbunden, mit Zauber, aber auch mit tiefer Sehnsucht und Liebe. Davon zeugt nicht nur Osmans Geschichte, sondern auch jene Legende, die der Grossvater dem Mädchen erzählt: Sie handelt von einem Prinzen, der einer Gazelle zu einer Quelle folgte, wo er seine Seele im Wasser gespiegelt sah und darob in tiefes Nachsinnen versank.

Motive wie die Gazelle und Handlungen wie die Vererbung des Derwischkleides wiederholen sich und verspinnen Binnenerzählungen und Rahmenhandlung. Zusammen mit den Lebensgeschichten der unterschiedlichen Figuren entsteht ein einzigartiger Teppich, in dem Vergangenheit, Gegenwart, Märchen und Realität miteinander verwoben sind. So baut sich etwa der Motorradfahrer in der Wüste unmittelbar neben dem berittenen Prinzen aus alter Zeit auf. Auch die Figuren durchmischen sich und überschreiten Zeit und Raum. Gewissen Sequenzen haftet gar etwas Traumähnliches an, etwa der Besuch einer teilweise unter dem Sand gelegenen Oasenstadt: Goldenes Licht strahlt durch die Fenster, dem Mädchen öffnen sich geheimnisvolle Räume, und der Gesang rätselhafter, verschleierter Frauen in Schwarz erklingt in ihnen.

Über dem ganzen Film aber steht als zentrales Thema das Erzählen von Geschichten, die mündliche Überlieferung. Schliesslich ist es auch die Geschichte vom Prinzen, die dem Mädchen hilft, die lange Reise durchzuhalten, da es sich stets auf das Weitererzählen freut. Und Zaids Erzählung wiederum hilft ihm, eine Krankheit zu überwinden. Ähnlich wie in den Märchen aus 1001 Nacht geht hier ein Bann vom Erzählen aus: Geschichten vermitteln Liebe, heilen und verändern die Menschen.

10.11.2020

4.5

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Kommentare

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marliese1

vor 17 Jahren

Der Film wurde gestern abend unter freiem Himmel in Nürnberg gezeigt. Es ist der schönste, bewegenste Film, den ich seit langem gesehen habe. Ich wünschte, ich hätte mir den Text merken können....


Gelöschter Nutzer

vor 18 Jahren

Dieser wunderbare Film hat mich inspieriert und mir eine traumhafte Welt eröffnet.


Gelöschter Nutzer

vor 18 Jahren

"Wer Vertrauen hat, verirrt sich nicht... " Viele einzelne Geschichten, und so gefühlvoll erzählt, münden am Schluss im gleichen Ziel. Un wieder einmal lernen wir, dass der Weg das Ziel ist. Bei der Musik und den wundervollen Gesängen läuft es einem kalt den Rücken hinunter...


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