CH.FILM

Confiture Belgien, Schweiz 2004 – 84min.

Filmkritik

Flucht vor dem Familienterror

Filmkritik: Dominique Zahnd

Im Drama «Confiture» fühlt Regisseur Lieven Debrauwer ausnahmslos alten Leuten auf den Zahn. Oder besser: Die dritten Zähne. Lust auf ein Abenteuer in der flämischen Provinz?

Lieven Debrauwer hat sich in seinen Filmen darauf spezialisiert, das soziale Gebaren der flämischen Bevölkerung quasi unter einem Vergrösserungsglas zu sezieren und den Kinogängern auf der ganzen Welt näher zu bringen. Am liebsten guckt der Regisseur dabei jenen Menschen auf die knochigen Finger, die bereits das AHV-Alter erreicht haben.

Sein Protagonist heisst diesmal Tuur (Rik van Uffelen). Der Schuhmacher lässt seine Frau Emma (Marilou Mermans) just in dem Moment sitzen, als das Fest zur Goldenen Hochzeit der Beiden mitten im Gange ist. Zuflucht findet der abtrünnige Ehemann bei seiner lesbischen Schwester Josée (Chris Lomme), die von der Familie verstossen wurde. Doch nicht nur in Herzensangelegenheiten herrscht das Chaos, bald gilt es auch finanzielle Sorgen zu bewältigen. Die sitzengelassene Emma verkauft darum einer Eingebung folgend hausgemachte Konfitüre in Tuurs Schuhladen - womit auch der Titel des Films erklärt wäre. Wird sich das zerstrittene Paar noch mal zusammenraufen?

Der Streifen feiert den Ausbruch aus gesellschaftlichen Fesseln. Rik van Uffelen überzeugt in der Rolle des Revoluzzers, der die Nase gestrichen voll hat vom öden Ehealltag und der Bevormundung durch die kranke Schwester Gerda (Viviane de Muynck). Er sucht nach einem Sinn in seinem miserablen Leben und bricht aus. Regisseur Lieven Debrauwer bringt die Trostlosigkeit der Situation auf den Punkt. Der soziale Terror in der Familiengemeinschaft und die Rückständigkeit des flämischen Dorflebens werden hier keine Sekunde geschönt, sondern in ihrer ganzen Hässlichkeit vorgeführt. Alles wirkt zuweilen, als hätten sich die Uhren seit den Fünfzigerjahren nicht mehr weitergedreht. Dieses Auffangen der Tristesse, die ein Gefangener in der Provinz durchsiechen kann, erzählten auch schon artverwandte Streifen wie «Mann beisst Hund» oder «Jedermann berühmt».

In «Confiture» weidet sich die Kamera regelrecht an der Lethargie, die so mancher der Darsteller verbreitet. Da wird keine Falte vom Sucher glattgebügelt, alles erscheint fast schon erschreckend real. Das Ensemble spielt unisono gut, doch von der Stimmung der lämenden Situationen, in denen die Schauspieler stecken, tropft bisweilen auch einiges in den Kinosaal runter. So wird das Zuschauen manchmal zum Kampf. Darum als Tipp: Vor dem Besuch zwei Espresso trinken, dann sitzt es sich besser durch bis zum Ende.

18.05.2021

3

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Kommentare

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beakolvo

vor 18 Jahren

schräge figuren, wenig text aber ausgezeichnete geschichte!


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