Erbsen auf halb 6 Deutschland 2004 – 110min.

Filmkritik

Blinde Liebe

Filmkritik: Carole Koch

Nach seinem Erstling "Jetzt oder nie - Zeit ist Geld" bringt Lars Büchel ein unkonventionelles und sensibles Liebesdrama auf die Leinwand. "Erbsen auf halb 6" erzählt die Geschichte von zwei Blinden, von Licht und Dunkel, Angst und Hoffnung, Freud und Leid sowie einer Liebe, die nicht blind, sondern sehend macht.

Es ist Nacht. Regen prasselt auf die Autobahn, auf der Jakob (Hilmir Snaer Guðnason) in seinem VW Käfer unterwegs ist. Eine kurze Unaufmerksamkeit führt zu einem Unfall, nach dem nichts so sein wird wie es vorher war: Seine Netzhaut ist zerstört, das Augenlicht für immer verloren.

Im Gegensatz zu Jakob kennt Lilly (Fritzi Haberlandt) den Unterschied zwischen hell und dunkel nicht. Sie ist seit Geburt blind, arbeitet als Lehrerin am Blindeninstitut und findet sich im Leben trotz ihrer Behinderung wunderbar zurecht. Der vormals erfolgreiche Theaterregisseur wird damit jedoch nicht fertig. Seine Hilflosigkeit und zunehmende Verbitterung münden in einem inneren und äusseren Chaos: Jakob stösst gegen jedes erdenkliche Hindernis, spricht ins Leere und fällt beim Suizidversuch in einen Erdbeerkuchen statt in den tödlichen Abgrund.

Auch die Hilfe Lillys ist für ihn kein Lichtblick. Das ändert sich, als sie gemeinsam nach Russland aufbrechen, um Jakobs todkranke Mutter zu besuchen. Auf der Reise lehrt sie ihn den Regen hören, er malt in ihrer Phantasie Bilder von gelb oder blau. Und je weiter sie sich von Deutschland entfernen, desto näher kommen sich die beiden durch sanfte Berührungen und vorsichtiges Ertasten, die sie in der zweisamen Dunkelheit eins werden lassen.

Mit "Erbsen auf halb sechs" - der Titel beruft sich auf eine von Blinden verwendete Methode, die Anordnung der Speisen auf dem Teller im Uhrzeiger-Sinn festzulegen - präsentiert Lars Büchel eine sensible Liebesgeschichte der etwas anderen Art. Die Annäherung der Protagonisten vollzieht sich schrittweise, ihre Liebe entsteht langsam. Optische Schönheit existiert nur in ihrem blinden Glauben daran. Dadurch entsteht in Dialog und Phantasie von Lilly und Jakob Raum für sprachliche Bilder, welche eingängiger sind als so manche szenische Darstellung.

Leider kann das Drehbuch dieses Niveau nicht konsequent halten: Logik und Glaubwürdigkeit von Text und Handlung scheinen stellenweise etwas plump. Auch der Spagat zwischen Liebesdrama und sarkastischer Komödie wirkt vor dem melancholisch schönen Hintergrund manchmal eher befremdend als auflockernd.

Durchaus sehenswert sind jedoch die Leistungen von Theatertalent Fritzi Haberlandt und Hilmir Snaer Guðnason, den wir bereits aus isländischen Filmen wie "101 Reykjavik" oder "The Sea" kennen. Auch Optik und Akustik des Films lassen gewisse Ungereimtheiten vergessen: Die Kernthematik der Story wie Licht und Dunkel, Sehen oder Hören wird in starken Bildern sowie einer ausgefeilten Geräuschkulisse weiter getragen. Damit zeigt Regisseur Büchel auf ästhetische und sensible Art und Weise, wie Sichtbares unsichtbar und Unsichtbares sichtbar werden kann.

19.02.2021

3.5

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Kommentare

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Gelöschter Nutzer

vor 15 Jahren

Das Originellste ist ja wohl der Titel, den man wirklich nur versteht, wenn man den Film gesehen hat. Im Großen und Ganzen ist er aber recht einfühlsam inszeniert. Man bekommt eine Vorstellung von der Welt, in der Blinde leben. Es gibt mitunter gute Kameraeinstellungen (plätscherndes Wasser im Gegenlicht) und das Zusammentreffen von zwei Aktionsfäden ist gut überlegt genauso wie manche Situationskomik.
Die Reiseroute mit rotem Strich auf der Landkarte nachzuzeichnen wirkt etwas antiquiert. Manche Szenen sind gedanklich nicht ganz leicht nachzuvollziehen. Und die Nebenhandlung, mit dem Girly, das partout auf Entjungferung aus ist („eine sexuelle Interessengemeinschaft“ sucht) passt nicht so ganz ins Bild. Wider erwarten verflacht die zweit Hälfte enorm Es ist nicht so der ganz große Wurf, aber redlich bemüht ein eigentlich erstes Thema einem breiten Publikum zu erschließen.Mehr anzeigen


mamama

vor 17 Jahren

Ich höre nur von diesem film und habe dne trailer, geschichte finde ich noch gut, aber das ist wirklich nur für diejenigen, die das aushalten so etwas trauriges, das mit dem autounfall und versuchter selbstmord. Ich habe es von der bibliothek genommen, und wollte ihn schauen, habe mich dann aber doch entschieden dies nicht zu tun. TRAURIGMehr anzeigen


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