Filmkritik
Von eisblauem Dunst umhüllt
Bettina Oberlis eindringlicher Film "Im Nordwind" greift die Probleme einer Familie auf, die mit Arbeitslosigkeit konfrontiert wird. Der Film gewann 2004 den Zürcher Filmpreis, dieses Jahr ist er für den Schweizer Filmpreis nominiert.
Zu Beginn wird bereits eine unterschwellig bedrohliche Stimmung spürbar: Kathrin Graf (Judith Hofmann) wird von einem Rottweiler angekläfft, und ihr Ehemann Erwin (André Jung) steuert sein Auto an einer Unfallstelle vorbei. Ein unfreundliches Klima herrscht. Der erste Schnee ist gefallen, Raben krähen wie Vorboten des Unheils, und eine eisige Bise weht durch die Strassen. Über dem ganzen Film scheint ein graublauer Schleier zu hängen und Strassenlandschaft, Wohnungseinrichtung und Kleider der Figuren nehmen dieses Farbdesign auf. Auch am tristen Himmel, zu dem Kathrin immer wieder aufschaut, lässt sich kein verheissungsvolles Blau blicken; die kahlen Bäume heben sich gegen blasses Grau ab.
Naturphänomene und Farbgebung sprechen nicht nur für sich, sondern versinnbildlichen die harte wirtschaftliche Situation in der Schweiz. Erwin Graf hat diese deutlich zu spüren bekommen: Im Zuge einer Umstrukturierung wurde er entlassen. Seiner Familie verheimlicht er dies und gibt jeden Morgen vor, zur Arbeit zu fahren. In Wahrheit studiert er in einem Hotelzimmer Stelleninserate. Bald muss er erkennen, wie schwierig es ist, wieder eine Stelle zu finden.
Seine Frau, nervös und überängstlich, beschäftigt sich unterdessen mit dem Bau des neuen Hauses. Und Tochter Lisa (Aiko Scheu) hat ihre eigenen Probleme, von denen sie nichts preis gibt. Man trifft sich zum Abendessen, fragt routinemässig nach dem Tag und erhält eine belanglose Standardantwort. Obwohl Kathrin spürt, dass ihr Kind ihr allmählich entgleitet und mit ihrem Mann etwas nicht stimmt, spricht sie nicht darüber. Anstatt ihren Angstzuständen auf den Grund zu gehen, rettet sie sich in Feng Shui.
Die Unfähigkeit zur Kommunikation widerspiegelt sich nicht nur in der Natur: Immer wieder werden die Figuren durch beschlagene oder verregnete Scheiben aufgenommen; eine unsichtbare Wand trennt sie voneinander. Stumm senden sie ihre Hilfeschreie aus: Lisa kämpft mit Selbstverletzung gegen die Gefühllosigkeit an, Kathrin leidet unter dem ewigen Lärm im Kopf und ihren Ängsten. Verdrängung ist die einzige Abhilfe, die die Familie kennt. Das muss auch Erwin erfahren, als er sich seinem Vater anvertraut, auf Ignoranz stösst und zu hören bekommt: "Wer wirklich arbeiten will, der kann das hier in der Schweiz auch." Mit der Thematisierung von Arbeitslosigkeit und der Schande, die damit immer noch verbunden ist, greift der Film ein brandaktuelles Thema auf.
Gerade heutzutage wo, Natursymbolik schnell als plump abgetan wird, ist Bettina Oberlis Kunst, die Natur sinnbildlich einzusetzen, besonders gelungen: Unaufdringlich zieht sie Natur- und Farbsymbolik zur Unterstützung ihrer Thematik bei und schafft damit ein einzigartiges, bewegendes Stimmungsbild einer Familie in einer Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit.
Dein Film-Rating
Kommentare
Gerade weil der Film so düster, grau und kalt wirkt wird die Situation der arbeitslosen, sinn- und berufssuchenden Schweizer eindrücklich aufgezeigt. Traurig ist, dass sich wohl viele Schweizer in einer solchen (trostlosen) Situation befinden!
diesen film will ich auch sehen! aber wann und wo? weiss jemand ob der film irgendwann noch kommt?
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