CH.FILM

La femme de Gilles Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweiz 2004 – 104min.

Filmkritik

Im Namen der Liebe

Filmkritik: Irene Genhart

Frédéric Fonteyne erzählt mit betörender Bildlichkeit die tragische Geschichte einer einfachen Frau, die im Frankreich der 30er Jahre um ihr Glück und ihre Familie kämpft

Es ist eine für einen Kinofilm ungewohnt schweigsame und introvertierte Protagonistin, die Frédéric Fonteyne ("Une liaison pornographique") in "La femme de Gilles" vorführt. Aus der Arbeiterklasse stammend, ist Elisa ein "einfaches Gemüt", wie man umgangssprachlich sagt, eine Frau, die - ganz im Gegensatz zu den eloquenten Helden, die "Une liaison pornographique" bevölkerten - vor sich hinlebt und kaum je ein Wort verliert.

Sie ist gewissermassen der Anti-Typ der modernen Frau von heute, diese Elisa, die Emmanuelle Devos mit brodelnder Expressivität spielt, dass es einem im Kinosessel den Atem schier verschlägt. Und um den Atem, Elisas Lebensschnauf, geht es denn auch in dieser Verfilmung eines von Madeleine Bourdhouxe 1937 veröffentlichten Romans, der in einem französischen Arbeiterkaff Mitte der 30er Jahre spielt. Etwas Zeitloses haftet der Geschichte an; tatsächlich ist sie in der heutigen westlichen Gesellschaft, in der mindestens die Hälfte aller Menschen so rastlos durch Partnerschaften und Ehen zappt, wie durch die Fernsehprogramme, kaum mehr vorstellbar.

Glücklich verheiratet ist Elisa zum Filmanfang. Kommt ihr Mann Gilles (Clovis Cornillac) morgens von der Arbeit nach Hause, gibt es einen Quickie, bei dem sie zwar nicht auf die Rechnung kommt, doch was solls: Elisa hat einen Gatten, zwei Töchter im frühen Primarschulalter und ist bald zum dritten Mal schwanger. Gross und grösser wird ihr Bauch im Verlaufe des den Jahreszeiten folgenden Films. Dieser spielt zur Hauptsache in der als Wohnraum dienenden Küche, in der Elisa kocht, putzt, flickt, wäscht und ihre Kinder betreut.

Er kommt ohne Rückblenden und ohne Off-Stimmen aus und tastet sich, konsequent aus Elisas Sicht, an Ungeheuerliches heran. Eines Tages entdeckt sie, dass ihre jüngere Schwester Victorine (Laura Smet) und ihr Mann sich nähre sind, als es sich für Schwager und Schwägerin geziemt. Der leise Verdacht, den Elisa wegen Gilles häufigen Barbesuchen seit einiger Zeit hegt, wird zu nagender Gewissheit. Doch sie bringt kein Wort über die Lippen. Bloss den Pfarrer besucht sie. Der aber erinnert sie an ihre Pflicht als Ehefrau. Also verschluckt Elisa ihre Tränen und sagt zu Gilles, sie warte, bis "es" vorbei sei.

In Momenten irritierender Flüchtigkeit nimmt Fonteynes Film, der in Lichtgebung und Komposition unverhofft an die Gemälde Vermeers erinnert, das Scheitern seiner Heldin vorweg. Spannend bis zum letzten Bild ist dieser eine tiefe Reflexion über Liebe und Verrat - und ein kleines kinematographisches Meisterwerk.

01.06.2021

4.5

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