Le chiavi di casa Frankreich, Deutschland, Italien 2004 – 105min.

Filmkritik

Zwei Fremde im Zug

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein Vater trifft seinen behinderten Sohn erstmals seit 15 Jahren. Gemeinsam reisen sie nach Berlin, weiter nach Norwegen. Sie nerven sich und finden sich. Ein einfühlsames stilles Roadmovie über Entfremdung, Annäherung und Zuneigung.

Der 15jährige Paolo (Andrea Rossi) ist stark behindert, spastisch gelähmt. Auf der Bahnreise in eine Berliner Spezialklinik trifft er seinen Vater Gianni (Kim Rossi Stuart), der ihn das erste Mal sieht. Der Mann, der just eine neue Familie gegründete, hat ihn seit dessen Geburt verdrängt, vernachlässigt, vergessen.

Sie sind zwei Fremde im Zug: Gianni plagen Gewissensbisse, Paolo ist misstrauisch, wohl auch verletzt. Es gibt Zwischenfälle, Missverständnisse, Enttäuschungen. Der Junge hat sich eine eigene Welt aufgebaut. Ein Individualist, der willig bei den Rehabilitationsübungen in der Klinik mitmacht, geduldig mit Erwachsenen ist, aber auch aufbrausen und wütend werden kann.

In Berlin nimmt er während eines Basketballspiels Reissaus und lockt so seinen Vater, wohl ungewollt, aus der Reserve. Gianni muss Farbe bekennen. Er muss die eigene Skepsis und Scham abbauen. Erst als er von Herzen bereit ist, Paolo als eigenständigen liebenswerten Menschen zu akzeptieren, kann er die gegenseitige Entfremdung überwinden und dem Sohn ein neues Daheim, eben den Schlüssel zu seinem Haus, bieten. Diese Reise bis ans «Ende der Welt» (bis zu einer norwegischen Brieffreundin) könnte der Beginn einer aber wunderbaren Freundschaft und Liebe sein.

Behutsam und einfühlsam beschreibt Gianni Amelio den Konflikt einer Behinderung, einer seelischen (Vater) und einer körperlichen (Sohn). Es ist eine verschlungene Annäherung mit Tücken und Hindernissen. Ängste, Unsicherheiten, aber auch Hoffnungen reisen mit. Diese Entwicklung eines gestörten Vater-Sohn-Verhältnisses dokumentiert Amelio in kleinen Schritten.

In den intimen Szenen, den Reibungen und Auseinandersetzungen zwischen dem Verstossenen (Sohn) und dem Verdränger (Vater) berührt und bewegt das Beziehungsdrama «Le chiavi di casa». Der Hintergrund (Vergangenheit), die auslösenden Momente, die Gianni bewogen, sich von seinem Filius bereits bei der Geburt abzuwenden, werden nur vage angedeutet.

Auch die Begegnung mit der Mutter (Charlotte Rampling) einer behinderten Tochter bleibt nur flüchtige Episode und wirkt wie eine wehmütige Randnotiz. Kim Rossi Stuart kommt als Vaterfigur seltsam blass und statisch herüber. Anders sein Sohn, der dem Film Authentizität schenkt. Er ist das Herz, er rührt und berührt, ist Bannträger unbändiger Lebenslust - auch unter schwierigen Bedingungen.

31.05.2021

3.5

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Typisch Emil

Tschugger - Der lätscht Fall

Landesverräter

Thelma