Touch the Sound Deutschland, Grossbritannien 2004 – 106min.

Filmkritik

Die Welt als Tonstudio

Filmkritik: Eduard Ulrich

"Taube Musikerin" klingt unglaublich, oder wenigstens paradox. Dass aber gerade eine gehörlose Schlagzeugerin sensibel und erfolgreich musizieren kann, zeigt Thomas Riedelsheimer ("Rivers and Tides") in seinem konzertant gefilmten Portrait der Schottin Evelyn Glennie, die auch schon in der Schweiz auftrat.

Glücklicherweise konnte Evelyn Glennie in den ersten Lebensjahren normal hören und wurde von ihren Eltern in ihrer Musizierlust bestärkt. Als sich ihr Gehör verschlechterte, schien eine Musikerlaufbahn ausser Reichweite. Sie liess sich aber nicht entmutigen, sattelte auf Schlagzeug um und entwickelte ihre übrigen Sinne, vor allem den Tastsinn, um die Gehörlücke zu füllen. Diese Konsequenz, ihren eigenen Weg zu gehen und dabei die Trampelpfade der kommerziellen Musik zu verlassen, wird zu ihrem Markenzeichen.

So spielt sie an äusserst unterschiedlichen Orten wie einem Restaurant, einer alten Fabrikhalle, einer Bahnhofshalle oder am Ufer einer Bucht. Auch in der Wahl der Instrumente ist sie nicht zimperlich. Für ein spontanes Kurzkonzert in einer Bar genügen ihr Flaschen, Gläser, Dosen und Teller. Sie meint, dass ein Künstler immer einen Weg finde, um sich auszudrücken. Taubheit eines Musikers (oder Blindheit eines Malers, möchte man maliziös ergänzen) könne das nicht verhindern.

Glennie ist auch mit den unterschiedlichsten Partnern bis hin zum Sinfonieorchester aufgetreten. Den Orgelpunkt des Films bildet eine Duo-Improvisation mit dem bekannten englischen Experimentalmusiker Fred Frith in einer Fabrikhalle. Publikum ist einzig die Kamera, die den Spielraum weidlich nutzt, für einmal nicht einem vorgegebenen Ritual in einer Konzertarena folgen zu müssen. Auch erfreuen die Bildideen meist, und kleine Bilderrätsel halten das Auge bei Laune. Gerade in diesem Fall der tauben Musikerin, sind Bilder zur Musik logisch und oft überzeugend.

Weniger geglückt scheint die Darstellung der Künstlerin, die auch als Sorgentante für die BBC und als Lehrerin für gehörlose Musikschüler amtet. Leider entgeht Regisseur Thomas Riedelsheimer nicht der Falle, in die Begeisterte gern tappen: Jede Äusserung ihres Idols wird unangetastet wie die Sprüche des Orakels von Delphi zelebriert. Zweifel oder gar Kritik daran scheinen fehl am Platz, auch wenn manche "Weisheit" bei Licht betrachtet banal, eher paradox oder einfach nur verblüffend als klug oder zumindest zutreffend erscheint. In diesen Fällen hätte man die Künstlerin vor sich selbst schützen sollen, indem man sich auf ihr Schlagzeugspiel beschränkt hätte, das sie meisterlich beherrscht.

10.11.2020

4

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