An einem klaren Tag Grossbritannien 2005 – 99min.

Filmkritik

Abbruch, Aufbau, Aufbruch, Ankunft

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Britische Sozialdramen sind die besten und obendrein erfolgreich - mit Realitätssinn und Galgenhumor: Gaby Dellal ist in die Fussstapfen eines Ken Loach getreten und hat ein aberwitziges Sozialdrama in Glasgow und am Ärmelkanal inszeniert. Ein Mann gewinnt wieder Boden unter den Füssen, indem er schwimmt.

Ein Schiff wird zu Wasser gelassen. Stapellauf. Ein Akt zum Feiern. Denkste. Das ist er Anfang vom Ende. Eine Werft wird geschlossen, und Vorarbeiter Frank (Peter Mullan) muss seinen Job zu Ende bringen. Er ist quasi der letzte, der das Schiff, d.h. seine Arbeitsstätte, verlässt. Tristesse macht sich breit. Kein Job, keine Perspektive - der 55-jährige Vorarbeiter verliert seinen Selbstrespekt und schwimmt im Ungewissen. Auch seine Familie bietet ihm keinen Rückhalt: Er hat ein gestörtes Verhältnis zu seinem Sohn, dem er den Ertrinkungstod eines zweiten Sohnes vorwirft. Und seine Frau Joan (Brenda Blethyn) nimmt er wie selbstverständlich hin. Doch sie hat eigene Pläne, will Busfahrerin werden. Eines Tages fasst er den Plan, den Ärmelkanal schwimmend zu überqueren - von England nach Frankreich. Das gibt ihm neuen Lebensmut und -sinn. Nach anfänglichem Zögern machen auch seine Kumpel mit. Sie leben auf, glauben an ihn und werden in einer Krisensituation zur treibenden Kraft.

Ein Mann, dem man den Boden unter den Füssen weggezogen hat, findet also wieder Halt, als er eine wahnwitzige Idee besessen verfolgt. Das ist die "oberflächliche" Geschichte. Doch in Dellals grobkörnigem, dennoch feinem Sozialfilm geht es um mehr als Arbeits- und Orientierungslosigkeit, Verlust des Selbstwertgefühls und des Lebenssinn. Hier werden "on a clear day" auch andere Probleme geklärt: der schleichende Vertrauensverlust innerhalb einer Familie, das Misstrauen eines Vaters gegenüber seinem Sohn, kommunikative und soziale Störungen. Es geht um private und soziale Traumata und Zerwürfnisse. Dieses zwischenmenschliche und soziale Spektrum, aber auch die stupiden Trainings und den Ernstfall des Schwimmers fängt David Johnson unspektakulär, aber hautnah mit seiner Kamera ein. Die Schauspieler, allen voran Peter Mullan ("My Name Is Joe") als verschlossener Prolet, der aus der Reserve gelockt wird, tragen das witzige Drama. Ein paar Schnitte (etwa beim allzu breit angelegten Vater-Sohn-Trauma) hätten dem beherzten Streifen gut getan. Gleichwohl ein Gewinn: Dellals plädiert in ihrer kritischen Produktion für Familiensolidarität, Freiheit des Einzelnen und die Liebe. Das scheint altmodisch, ist aber ganz modern. Am Filmfestival in Locarno 2005 kam der Spielfilm sehr gut an: "Clear Day" - hautnah, humorvoll britisch gewürzt. Er bietet authentische Projektionsflächen für Familien- und Freundschaftsbande.



10.11.2020

4

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Kommentare

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themarque

vor 18 Jahren


Klaus1108

vor 18 Jahren

Wer die sozialkritischen, im Arbeitermilieu von Glasgow angesiedelten Dramen von Ken Loach mag, ist auch mit diesem Streifen gut bedient. Vielleicht etwas optimistischer und leichter als manche Filme von Ken Loach, was aber die Qualität dieses Streifens keinesfalls schmälert. Ein sehenswerter Film, mit einem herausragenden Peter Mullan in der Hauptrolle!Mehr anzeigen


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