CH.FILM

Tibet - zwischen Museum und Moderne Schweiz 2005 – 74min.

Filmkritik

Baustelle am Dach der Welt

Tobias Asch
Filmkritik: Tobias Asch

Zum 70. Geburtstags des 14. Dalai Lama füllen sich die Zeitschriften-Auslagen und TV-Sender mit Tibet-Specials, die ohnehin beliebteste Bevölkerungsgruppe unseres Landes befindet sich in einem medialen Allzeithoch. Doch wie sieht die Situation in Tibet aus?

Die "friedliche Befreiung" Tibets durch die Volksrepublik China war dem Wohl des tibetischen Volkes und seiner Kultur bekanntlich wenig zuträglich. 1,2 Millionen Menschen kamen im Laufe der chinesischen Besatzung ums Leben, Kulturdenkmäler, Tempel und Klöster wurden zerstört, die Bevölkerung gegenüber chinesischen Einwanderern diskriminiert. Mit der Flucht des Dalai Lama verschob sich der religiöse und kulturelle Mittelpunkt ins Ausland, wo inzwischen mehr als 100'000 Exil-Tibeter leben und ihr kulturelles Erbe pflegen, so gut es geht.

Doch was ist von der Kultur und Spiritualität in Tibet übrig geblieben, und wie begegnet sie den Herausforderungen der Globalisierung? Der chinesische Regisseur Zhibin Fu und der Schweizer Produzent Jon-Andri Mantel haben sich im Herbst 2002 mit einem neunköpfigen Filmteam aufgemacht, um diesen Fragen nachzugehen. Kern der dokumentarischen Annäherung sind Gespräche mit Tibetern, etwa einem Politologen und seiner Familie in Peking, einem Mönch im Kloster Sera oder Pilgern auf ihrer beschwerlichen Reise durch die noch nahezu unzerstörte Welt der Naturheiligtümer Kailash und Mansarovar. Dann Strassenszenen aus Lhasa: Hochhäuser, Supermärkte, Folklore-Shows - nicht nur China, auch die Moderne hat Einzug gehalten. Eine stramme Parteigenossin führt durch ihre Karaoke-Bar, präsentiert die Mädchen, demonstriert Wohlstand. Ein Informatik-Student lobt moderne Technologien, während sein Vater mühselig mit dem Yak den Acker pflügt. Die einen haben sich mit den Gegebenheiten arrangiert, anderen blieb der Anschluss verwehrt.

Das Filmprojekt entstand mit Unterstützung und unter Aufsicht der chinesischen Behörden, die Prämisse war eine möglichst neutrale Annäherung an das Thema. Zensur gab es laut Jon-Andri Mantel keine, man hat aber auch keine heissen Eisen angefasst. Der eine oder andere unerfreuliche Aspekt des sino-tibetischen Alltagslebens blieb wohl bewusst unbeleuchtet. Ziel des Filmprojektes war denn auch "keine politische Polarisierung, sondern eine konstruktive Diskussion um die zukünftige Entwicklung der tibetischen Kultur", so Mantel. Der Film gibt jedenfalls Denkanstösse und fügt sich gut in die Reihe der anderen Schweizer Produktionen zum Thema Tibet ein, die fast zeitgleich erscheinen: "Journeys with Tibetan Medicine" und "Angry Monk - Reflections on Tibet" - demnächst in einem Kino in Ihrer Nähe.

10.11.2020

4

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