CH.FILM

Ein Lied für Argyris Schweiz 2006 – 110min.

Filmkritik

Bomben und Beethoven

Filmkritik: Eduard Ulrich

Stefan Haupt zeichnet die ergreifende Lebensgeschichte des Argyris Sfountouris nach, der zufällig einem Massaker der Nazis entging, als Kind in die Schweiz kam und sich zu einem Streiter gegen das Unrecht des Vergessens entwickelte. Die medienwirksame Pfändung des Athener Goethe-Instituts vor einigen Jahren geht auf sein Konto.

Glück im Unglück könnte man es nennen, was Argyris Sfountouris Zeit seines Lebens widerfuhr. Im Alter von 4 Jahren entgehen er und seine Schwestern knapp dem Tod, als die SS fast 300 Dorfbewohner, Männer, Frauen und Kinder (einschliesslich Säuglingen) foltert, verstümmelt und tötet. Schwer traumatisiert, erholt er sich nur langsam, kommt in ein Waisenhaus in Athen und von dort in das Trogener Kinderdorf Pestalozzi, weil er einen Begabungstest besteht. Der Bub fällt durch seine guten Leistungen und eigenständigen Ideen auf, schreibt Einstein einen Brief, erhält eine wohlwollende Antwort und entschliesst sich, Physik und Mathematik zu studieren. Nach Jahren als Gymnasiallehrer engagiert er sich in der Entwicklungshilfe, um sich schliesslich seiner Lebensaufgabe zu stellen: Das Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg zu sühnen.

Stefan Haupt ergänzt die Erzählungen von Zeitzeugen, von denen Mikis Theodorakis wohl der prominenteste ist, um eindrucksvolles Archivmaterial, das aber manchmal plakativ wirkt - beispielsweise, wenn zu Beethovens 7.Sinfonie Weltkriegsbomben in die Tiefe sausen, womit der unfassbare Widerspruch zwischen der teilweise klassisch gebildeten deutschen Soldateska und ihrem barbarischen Verhalten ausgedrückt wird. Überzeugend sind dagegen die schonungslosen und detailreichen Schilderungen der grauenhaften Verbrechen und die trockene Darstellung der sich selbst entlarvenden Unfähigkeit der Behördenvertreter, mit der damaligen Schande umzugehen. Subtil begleitet er die bewegenden Rituale der Opferangehörigen.

Man kann sich allerdings fragen, ob Haupt seinem sympathischen Protagonisten einen Gefallen getan hat, dessen Fall nicht in eine historische Perspektive zu setzen, denn es gibt viele Personen mit einem ähnlichen Schicksal - sogar in Italien, das genauso wie Griechenland inzwischen NATO-Partner des ehemaligen Verbrecherstaates ist. Vielleicht hebt sich Argyris Sfountouris von seinen Leidensgenossen dadurch ab, dass er nicht den bequemen Weg des Verdrängens gegangen ist, sondern den Kampf um Sühne und gegen Strukturen, die Menschen nicht so erziehen, dass sich derartige barbarische Verbrechen nicht wiederholen können, als Lebensaufgabe angenommen hat.

05.01.2021

3.5

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Kommentare

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spidersam

vor 17 Jahren

der Film ist wichtig

weil er einen Beitrag leistet

- gegen das Vergessen
- für die Würde der Opfer
- für mehr Bewusstsein
- zur Verhinderung von neuer Unmenschlichkeit
- für ein erweiteres Bewusstsein der Weltkriegsgeschichte Europas

weil er auf ein Einzelschicksal eingeht, stellvertretend für das Leiden aller In-dividuen der Welt

weil er aufzeigt, welche Langzeitfolgen ein Verbrechen nach sich zieht

und weil er besinnlich die Hand ausstreckt für eine Versöhnung.Mehr anzeigen


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