Inland Empire Frankreich, Polen, USA 2006 – 180min.

Filmkritik

Formvollendetes Fürchten mit David Lynch

Sarah Stähli
Filmkritik: Sarah Stähli

Es ist ein grandios kunstvolles Spiel mit der Angst, zu dem uns das Enfant Terrible des amerikanischen Kinos mit «Inland Empire» einlädt.

Das Aufregende an David Lynchs Filmen ist, dass sie sich in kein Genre pressen lassen, er macht weder reine Horrorfilme noch Kriminalfilme. Er zielt auf unser Unterbewusstes. Es sind Kindheitsängste, Alptraumbilder, von denen er erzählt: Dunkle Räume und Treppenhäuser, verschlossene Türen, vertraute Gesichter, die sich in grässliche Fratzen verwandeln und aufdringliche Doppelgänger.

Fünf Jahre liegen zwischen seinem letzten Werk «Mulholland Drive» und «Inland Empire». Obwohl vieles in seinem neuen Film so etwas wie Lynch-Klischees oder Selbstzitate sind, verkommt die eigene Marke nicht zur Masche. Eine derart experimentelle Filmsprache und so wenig Handlung: das überrascht sogar bei David Lynch. Nicht-lineare Narration, diverse Handlungsstränge und Erzählperspektiven vermengt er zu einem elektrifizierenden assoziativem Gesamtkunstwerk. Und «Inland Empire» ist auch das gewaltige Comeback der Lynch-Muse Laura Dern.

Sie spielt in einer Tour de force mindestens drei Rollen, in denen sie zwischen White Trash und High Society changiert. Einer Alice im Angstland gleich öffnet sie ein Türchen nach dem anderen und betritt immer unheimlichere Welten, durch ein Brandloch in einem Seidentuch blickt sie zurück in eine rätselhafte, polnische Vergangenheit. Nikki Grace ist Schauspielerin und wird für einen viel versprechenden Film engagiert. Bald stellt sich heraus, dass es sich dabei um ein Remake handelt - der Ursprungsfilm wurde aus mysteriösen Gründen nie zu Ende gedreht. Film im Film im Film ist die Grundlage für ein Labyrinth der Verwirrungen.

Lynch hat «Inland Empire» zum grössten Teil selber mit einer Digital-Videokamera gedreht. Er arbeitet mit Unschärfen, Überblendungen, verwirrenden Schnitten und unpassender Musik. Seine Freude an der ballastfreien Technik ist mit jeder Einstellung sichtbar, trotzdem verkommt der Film nie zu einer egomanischen Spielerei, die den Zuschauer links liegen lässt. Wie die junge Frau, die sich mit vor Angst geweiteten Augen eine seltsame Fernsehserie mit Hasen-Menschen anschaut - einer der wenigen roten Fäden in «Inland Empire» - können auch wir uns der surrealen Welt Lynchs nicht entziehen, möge sie noch so verstörend sein.

Für Dern ist der Film eine Hommage Lynchs ans alte Hollywood und handle «vom Tod dessen, wofür Hollywood für ihn steht». Bestens veranschaulicht in der Sequenz, in der Nikki auf die Sterne des Walk of Fame kotzt.

«Geschichten sind Geschichten. Hollywood ist voll davon» heisst es einmal in «Inland Empire». Nach den ersten Minuten wird klar, dass dieser Film sehr viel mehr ist als nur eine weitere Geschichte aus Hollywood.

31.05.2021

5

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Kommentare

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movie world filip

vor 13 Jahren

an anfang schwierig aber sehr gut


Simon

vor 17 Jahren

Man muss ein grosser Lynch Fan sein, um das 3 Stunden lang auszuhalten.
Ich glaube ja, dass Lynch uns alle verarscht und sich schon lange fragt, wieso sich Leute sowas noch antun.
Und trotzdem werd ich bei seinem Nächsten wieder im Kino sitzen und auf diese fiesen Nackenhaare aufstellenden Szenen warten. Ich meine, irgendwer MUSS dem ja die Psychotherapie bezahlen... @Samuel: sensationeller Kommentar: -)Mehr anzeigen


Gelöschter Nutzer

vor 17 Jahren

Huh! Das Hasi hüpft und Laura Dern hat Angst. Sehr gut.


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