Requiem Deutschland 2006 – 92min.
Filmkritik
Totenmesse für eine Besessene
Sandra Hüller brilliert in einem intensiven Porträt über eine junge Frau, die glaubt, von Dämonen besessen zu sein. In letzter Konsequenz willigt sie schliesslich ein, sich dem Exorzismus zu unterziehen.
Gehetzt fährt sie auf ihrem Fahrrad über den unebenen Boden, wird durchgeschüttelt, scheint sich kaum mehr auf dem Sattel halten zu können. Verfolgt wird sie von einer unruhigen Kamera. Bereits in der ersten Einstellung wird klar: Michaela ist eine Getriebene. Die junge Frau hat einen Studienplatz in Tübingen erhalten. Sie leidet an Epilepsie und ihre streng gläubige Mutter lässt sie nur ungern gehen, aus Angst vor ihren Anfällen, aber vor allem aus Angst, ihre Tochter in ein eigenständiges Leben zu entlassen.
Michaela hat immer mehr das Gefühl, von Dämonen besessen zu sein, sie kann nicht mehr beten, hört Stimmen und findet sich schliesslich mit dem Schicksal ab, als Märtyrerin von Gott geprüft zu werden. Als letzten Ausweg sehen die Eltern und Priester schliesslich den Exorzismus. Wer eine deutsche Version von «The Exorcist» erwartet, liegt jedoch falsch. «Requiem» von Hans-Christian Schmid («Lichter») endet dort, wo die meisten Exorzismusfilme beginnen: mit der ersten Teufelsaustreibung. Unheimlich und höchst verstörend ist der Film aber dennoch.
Schmid erzählt einfühlsam von der Ablösung einer jungen Frau von ihrem streng religiösen Elternhaus. In einer berührenden Szene tanzt Michaela - ihren ersten Kuss noch auf den Lippen - alleine zu einem Rocksong der Zeit, völlig frei und wild. Man würde ihr diese Unabhängigkeit so sehr wünschen. Ihre inneren Kämpfe, von denen sie immer mehr beherrscht wird, erlauben es Michaela jedoch nicht, ihren eigenen Weg zu gehen.
«Requiem» spielt im Deutschland der siebziger Jahre und basiert auf der wahren Geschichte von Anneliese Michel. Das Haus ihrer Eltern, wo die Exorzismen stattgefunden haben und sie schliesslich gestorben ist, ist mittlerweile zum Wallfahrtsort geworden. Angesichts der Tatsache, dass Teufelsaustreibungen noch heute praktiziert werden, bleibt der Film beinahe zu unkritisch. Obwohl die bigotten Priester in ihrer ganzen Verlogenheit und Erbarmungslosigkeit gezeigt werden (Jens Harze als schlangenartiger, heuchlerischer Priester ist grossartig ekelhaft) lässt einen «Requiem» am Ende mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. Schmid scheint der Versuchung Michaela als Märtyrerin zu stilisieren nicht ganz widerstehen zu können.
Trotzdem ist ihm ein beklemmendes filmisches Requiem gelungen. In einer oft atemlosen Filmsprache, in Farben, denen jegliche Farbigkeit entzogen scheint und ganz ohne Filmmusik wird Michaelas Leidensweg erzählt. Sehenswert macht den Film vor allem auch die ergreifende schauspielerische Leistung von Sandra Hüller. Hüller, Ensemble-Mitglied des Theaters Basel, wurde an der diesjährigen Berlinale mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Mit grosser Natürlichkeit und Beharrlichkeit verkörpert sie diese aussergewöhnliche junge Frau, die sich eigentlich nur danach sehnt, ein ganz normales Leben zu führen.
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Kommentare
Die Kritik wirft dem Regisseur implizit vor, Michaela zur Maertyrerin stilisiert zu haben.
Meiner Meinung nach trifft dies allenfalls indirekt zu, vielmehr entspricht es der Logik Figur der Michaela, dass sie sich selbst als Maertyrerin stilisiert bzw. sich von Pfarrer Borchert als solche stilisieren laesst. Erstens hat sie von Beginn an diese Faszination fuer die heilige Katharina. Zweitens ist es bei psychotischen Menschen sehr haeufig der Fall, dass sie sich in irgendeiner Form fuer 'auserwaehlt' halten. Insofern ist ist es authentisch, wenn Michaela zwischendurch auch mal gluecklich ueber ihren Leidensweg laechelt.
Aber auch Authentizitaet, mit der der Film die Hilflosigkeit der Angehoerigen angesichts Michaelas psychotischen Zustandes darstellt, ist absolut bewundernswert.… Mehr anzeigen
schauspielerisch grossartig, v. a. die schwierige rolle einer psychotischen epileptikerin.
beklemmend: geschichte und verlauf
- und dies nach einer wahren begebenheit im 20. jahrhundert...
Eine Stärke des Films liegt darin, dass er nur implizit Urteile fällt? nicht einmal in der Frage "Psychiatrie oder Exorzismus"? und den Zuschauer mit den Figuren selbst Antworten vermuten lässt. Dient die Historisierung einer Entschuldigung?
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