Das grösste Spiel der Welt Deutschland, Spanien 2006 – 88min.
Filmkritik
Die Wüste bebt
Man hat sich leider daran gewöhnen müssen, dass jetzt auch Grossmutter auf Cristiano Ronaldo steht. Fussball ist ja mittlerweile derart in aller Munde, dass sich seine wahren Liebhaber im Schatten maroder Kleinstadien verstecken, um wieder ihre Ruhe zu haben - auch vor dem Lärm der Hurra-Patrioten, deren neue Heimat die Fan-Meile ist, bis die Karawane weiterzieht.
Aber sogar an jenen Un-Orten, die derart im Abseits der Welt liegen, dass alles hauptsächlicher scheint als die vormals wichtigste Nebensache, geben die Bewohner alles, um live dabei zu sein, wenn die Milliarden vor den Bildschirmen zu einem Körper verschmelzen. Im November 2001, erinnert sich Gerardo Olivares, habe er auf einer Reise durch die Mongolei Nomaden getroffen. Eines ihrer Pferde sah aus wie das Eselchen des Künstlers Maurizio Cattelan: Es buckelte einen Fernseher. Sie seien unterwegs zur Antenne, erklärte man dem staunenden Mann mit der Kamera. In ein paar Monaten sei doch das Weltmeisterschaftsfinale? Es soll diese Szene gewesen sein, die dem Spanier, der sich als Dokumentarfilmer bisher nur für die Natur der Natur interessiert hatte, die Augen für die des Menschen öffnete. "The Great Match" war angepfiffen.
Diese Komödie ist ein langes Vorspiel und dauert nicht ganz neunzig Minuten. Olivares karikiert, im Stile einer Konferenzschaltung - der sportlichen Schwester des Episodenfilms - das Bemühen einer Gruppe mongolischer Nomaden, einer Kamel-Karawane der Tuareq in der Sahara und einer Handvoll Amazonas-Indianer. Alle haben sie im Sinne, jenes WM-Finale 2002 mitzuerleben, das ein Patzer Oliver Kahns entschied, dank dessen Paraden Deutschland sich bis ins Finale gemogelt hatte, um es gegen Brasilien zu verlieren. Das fanden damals alle lustig. Andere haben über Maximilian Schell gelächelt, der dem Torwart die Angst vor dem Scheitern nach dem Schlusspfiff zu nehmen versuchte, indem er ihm den "Hamlet" zu lesen empfahl.
Gerardo Olivares schmunzelt über Handfesteres. Sein Humor erwächst aus dem wahnwitzigen Wollen seiner Protagonisten (Laien-Darsteller allesamt), dieses Finale sehen zu können - trotz der Widerstände, die sie zu überwinden haben. Wenn Sepp Blatters FIFA-Slogan je Sinn machte, dann hier: "For the Love of the Game" klauen die Indianer bei den Weissen das Fernsehkabel, das ihnen fehlt, oder lassen den Kollegen mit einer Satellitenschüssel auf einen Baum klettern, um ein sauberes Signal reinzukriegen - und dann ist Rivaldo doch nicht von Ronaldo zu unterscheiden. Aus Liebe zum Fussball lassen die Tuareqs ihre Tiere in der Wüste zurück, weil nur noch der Lastwagen sie rechtzeitig bei der Antenne absetzt - zum "Public Viewing" in der Sahara. Manchmal ist das ein wenig paternalistisch. Und zum Ende hin gleicht die ewige Retardation dem italienischen Fussball, wenn er ein 1-0 nach Hause schiebt. Aber das Beste ist die Grossmutter, die in einer Jurte sitzt und wie Helmut Schön selig Phrasen drischt, von denen man nie weiss, ob man sie nicht doch hätte aufschreiben sollen.
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