Filmkritik
Zerrspiegel des Lebens
Menschen, Monster, Mysterien und Magie: Hier wird von drolligen Typen und Akrobaten bis zu Wachsfiguren, Geistern und verlorenen Seelen alles zur Schau gestellt. Der Wiener Prater mit seinem Riesenrad bietet seit über 100 Jahren einen Zerrspiegel des Lebens. Filmemacherin Ulrike Ottinger lädt zu einer Zeitreise in den legendären Vergnügungspark.
Der Jahrmarkt war immer schon ein Schauplatz der Freaks und Fantasten, der Monster und Magier, der Akrobaten, Scharlatane und Schausteller. Anfang des letzten Jahrhunderts wurden Hottentotten oder Indianer vorgeführt, siamesische Zwillinge, Zwerge oder Zauberer. Ein Jahrmarkt, der das ganze Jahr dauert, ist der Wiener Prater, ursprünglich ein Jagdrevier Kaisers Maximilians II. 1766 gab Joseph II. den kaiserlichen Park für das Volk frei. Kaffeesieder und Wirte siedelten sich an, und damit beginnt die Geschichte des «Wurstelpraters», des Vergnügungsparks.
Ulrike Ottingers Dokumentarfilm setzt notabene rund 150 Jahre später ein, natürlich der Bilder und Zeitzeugen wegen. Schausteller erzählen über ihre Vorfahren, die wirteten oder als Musiker auftraten. Prater-Heinzi, der an lllusionsmaschinen werkelt, gibt Einblick in seine Welt. Dieser Kosmos des Ausserordentlichen, Abnormalen, Absurden wird lebendig. Wir begegnen dem «Mann ohne Unterleib» oder dem «Watschenmann», auf den Halbstarke heute noch eindreschen. Karussells drehen sich seit 100 Jahren. Besucher quietschen vor Vergnügen oder Schreck bei Achter- und Geisterbahnfahrten.
Geschickt vernetzt die Filmerin Nostalgisches mit Neumodischem, Banales mit Spektakulärem. Die Vergnügungswelt als Schaubühne: Der liebenswürdige Film animiert obendrein, über den Reiz von simulierten oder realen Attraktionen, über Imagination und Illusionen nachzudenken. Welche Gefühle weckt ein Karussellpferd? Was bewirkt die Fahrt in einem Autoscooter, was ein halsbrecherischer Berg- und Taltrip in einer Achterbahn? Die Prater-Welt verzerrt, vergnügt und verführt, verschmilzt, überblendet und verschiebt Realitäten.
Die verzahnten Bilder (Schnitt: Bettina Blickwede), von Ulrike Ottinger selbst eingefangen und mit Fotos aus Privatarchiven gespickt werden zum Prater-Puzzle. Ein Spiegel, eine Zeitmaschine, ein Panoptikum - amüsant, authentisch, poetisch. Die Auftritte von Veruschka als Barbarella- oder Barbie-Verschnitt, sowie Elfriede Jelineks Prater-Ode verzieren diese Zeitreise. Der Film, hinter den Kulissen betrachtet, ist auch eine Reflexion übers Kino, über Schein und Sein. Und am Ende bleibt die Frage: Hat das Kino von heute seine Seele verloren und durch Technik ersetzt?
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