Rusalka - Mermaid Russische Föderation 2007 – 114min.

Filmkritik

Alisa im Wirtschaftswunderland

Filmkritik: Eduard Ulrich

Ein Kuss wie ein Handkantenschlag: Die armenische Regisseuse Anna Melikian kontrastiert die kindlich-mythische Weltsicht der gutherzigen, aber eigensinnigen Alisa anfangs als Kind mit ärmlichen Umständen in einem Küstendorf und später als junge Erwachsene mit rücksichtslos-kapitalistischen Verhältnissen in Moskau. Die kitschlos-fulminante Inszenierung zerreisst einem beinah das Herz.

Wie ein Schöpfungsmythos klingt die Geschichte vom fernen Matrosenvater und ihrer eigenen Zeugung, die Alisa mit kindlicher Emphase erzählt, während die Bilder ihrer üppigen Mutter, deren natürlicher Lebensraum das Wasser zu sein scheint, wie sie diesem Vater-Fantom begegnet, diese Stimmung der kindlich-selbstsicheren Kreatürlichkeit reflektieren.

Was als tröstende Erklärung für die schmerzliche Absenz des Vaters gedacht war, keimt in Alisas eigentümlicher Fantasie zu einem Kosmos der Weltinterpretation, an dessen Kulminationspunkt die Vorstellung entsteht, sie könne ihre Wünsche wahr werden lassen - allerdings mit einem Haken: Immer, wenn endlich das eintrifft, was sie sich so sehnlichst wünscht, gibt's eine böse Überraschung. Ihre Schuldgefühle und ihre hartnäckige Hoffnung auf einen Besuch ihres Vaters provozieren eine Marotte, die ihre Schulkarriere ruiniert. Kurz bevor Alisa erwachsen wird, muss die Dreifrauenfamilie mit Grossmutter ihr uferdörfliches Biotop verlassen und landet in Moskau.

Geizte die Inszenierung schon im ersten Teil nicht mit originellen Handlungs- und wunderbar natürlichen Bildideen, wird im Moskauer Teil in jeder Hinsicht noch ein Zacken zugelegt. Wie dort die vom Manko der Vaterlosigkeit gezeichnete Alisa auf der Suche nach Liebe im rücksichslos rasenden Moskauer Wirtschaftsmotor in und unter die Räder kommt, ist psychologisch schlüssig, lakonisch und ungerührt kommentiert, aber gerade deshalb berührend umgesetzt. Und selbst eine derart unwahrscheinliche Figur wie der extrem introvertierte Selfmade-Geschäftsmann Sascha, der sich als Verkäufer solche Gewalt zur Extravertiertheit antun muss, dass er privat einen Goldfisch allen menschlichen Gesprächspartnern vorzieht, funktioniert. Er ist offensichtlich Alisas Seelenverwandter.

Normalerweise verträgt ein Film nur eine so konstruierte Figur, dieser verträgt deren zwei. Normalerweise hätte man aus der Fülle an Ideen drei Filme produziert, Anna Melikian leistet sich den Luxus, sie in einem Film unterzubringen, der sein Publikum mit seiner ungewöhnlichen Dichte an Stimmungswechseln und -extremen in ein Wechselbad der Gefühle taucht, dem sich wohl niemand entziehen kann.

11.06.2008

5

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Kommentare

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Patrick

vor 13 Jahren

Die Darsteller waren gut, sowie ist das ganze im Arthouse-Movie-Stil verpackt, aber es kam mir zu skurril daher.


Klaus1108

vor 16 Jahren

Ein neuer russischer Film, der die oft negativen Auswüchse des schnellen Geldes im heutigen Moskau zeigt, ihnen aber auch eine positive und sehr sympathische Hauptdarstellerin entgegen setzt.


popkoernchen

vor 16 Jahren

russland in einer netten geschichte verpackt.


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