CH.FILM

Shake the Devil Off Schweiz 2007 – 99min.

Filmkritik

Musikalischer Exorzismus

Filmkritik: Cindy Hertach

Peter Entell, New Yorker Wahlschweizer, begleitet mit seiner Kamera eine schwarze Kirchgemeinde in New Orleans, die sich zum gewaltlosen Widerstand formiert, als sie ihren Pater an die Sparmassnahmen der weissen Kirchenoberhäupter zu verlieren droht. Der packende und engagierte Dokumentarfilm besticht durch seine mitreissende Unmittelbarkeit und ergreift ostentativ Partei für die benachteiligte afro-amerikanische Bevölkerung, die bis heute unter der weissen Obrigkeit zu leiden hat.

Ein halbes Jahr nach dem Hurrikan Katrina - und noch immer haben die Menschen mit den unmittelbaren Auswirkungen der Naturkatastrophe zu kämpfen. Die Trauer und der Schmerz über den Verlust ihrer Liebsten sind ungebrochen, fehlender Wohnraum sowie grassierende Arbeitslosigkeit tragen empfindlich zur psychischen Verunsicherung der vornehmlich schwarzen Bevölkerung bei. Vielen bleibt nur noch ihr Glaube an Gott und der soziale Halt in der religiösen Gemeinschaft - so auch den Mitgliedern der historischen Kirchgemeinde St. Augustin, die seit mehr als fünfzehn Jahren vom charismatischen, schwarzen Pater LeDoux geleitet wird.

Bereits im 19. Jahrhundert gegründet, gilt die Gemeinde nicht nur als wichtiges Symbol der afro-amerikanischen Kultur sondern auch als eigentliche Wiege des New Orleans-Jazz. Dank LeDoux' Engagement wird dieses Erbe jeden Sonntag in ergreifenden Gospel-Gottesdiensten lebendig gehalten. Die Nachricht, dass der beliebte und sich fürsorglich um seine Schäfchen kümmernde Pfarrer, aus vordergründig ökonomischen Gründen wegrationalisiert werden soll, löst bei den Gemeindemitgliedern einen kollektiven Schock aus. Die augenscheinlich durch Rassismus und Geldgier motivierte Entscheidung der weissen Kirchenoberhäupter entzündet aber schon bald eine gewaltlose und langwierige Protestaktion, die in einer überraschenden und aufwühlenden Wendung mündet.

Per Zufall erfuhr der US-stämmige und in der Schweiz lebende Regisseur Peter Entell durch eine Freundin vom drohenden Schicksal der St.Augustin-Pfarrei und entschied sich kurzfristig, ohne genaue Vorstellungen über die vorherrschende Situation und nur in Begleitung eines Kameramanns, nach New Orleans zu reisen. Das grandios geglückte Produkt dieser spontanen Entscheidung ist zwar eine kritische Bestandesaufnahme der sozialen und kulturellen Auswirkungen einer Naturkatastrophe, die vor allem eine unterprivilegierte Bevölkerungsschicht der USA getroffen hat, gleichzeitig aber alles andere als eine objektive Reportage.

Ganz im Gegenteil: Entell solidarisiert sich mit den couragierten Kirchenbesetzern, die sich mit viel Idealismus und unbeugsamer Lebensfreude in zivilem Ungehorsam üben, indem er seine Eindrücke dieses kraftvollen und leidenschaftlichen Widerstandes zu einer Art Musikfilm montiert, der unmissverständlich Partei für die aufsässigen Kirchenbesetzer ergreift. Intensiv, menschlich, ergreifend und mit dem authentischen Sound von New Orleans unterlegt, kann der Film, der unter anderem bereits am Locarno Filmfestival 2007 und an den Solothurner Filmtagen aufgeführt wurde, mit Sicherheit als einer der besten Schweizer Filme des letzten Jahres gehandelt werden.

19.02.2021

5

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