Ye che - Night Train China 2007 – 94min.

Filmkritik

Liebesmühen im modernen China

Andres Hutter
Filmkritik: Andres Hutter

In "Night Train" zeichnet der Regisseur Yinan Diao ein düsteres Bild von China: Die Industrialisierung hat die Menschen vergessen, die sich nun in trostlosen Betonwüsten nach menschlicher Nähe sehnen. Die Liebesmühen im modernen China sind hier ein Spiegel für gesellschaftliche Missstände, doch auch der Film selbst findet die ersehnte Nähe zu den Menschen nicht.

Wu Hongyan arbeitet am Gericht der Provinz Shaanxi im Zentrum Chinas. Zum Aufgabenbereich der jungen Frau gehört es, zum Tode verurteilte Frauen zu begleiten und schliesslich die Hinrichtung vorzunehmen. Damit zeigt Regisseur Yinan Diao von Anfang an die unschöne Seite des erstarkten Chinas. Doch nicht nur die grausame Todesstrafe, die gesamten Lebensumstände in der Provinz sind unmenschlich.

So funktioniert die Industrie zwar tadellos, doch entfremden sich die Menschen zusehends. In trostlosen und heruntergekommenen Betongebäuden lebt Wu einsam zwischen dampfenden Maschinen und riesigen Lastern und sehnt sich nach menschlicher Nähe. Doch statt Liebe gibt es in Diaos industrialisiertem China bestenfalls Prostitution, Ehebruch und beliebige One-Night-Stands. Deshalb reist Wu immer wieder in die Stadt, um dort die Tanzabende einer Heiratsvermittlung zu besuchen, doch statt Liebe und Nähe findet sie auch dort bloss zwielichtige Gestalten, die sie bedrängen und verfolgen.

Wie so oft im zeitgenössischen chinesischen Kino geben die Figuren auch in "Night Train" nur wenig von sich Preis. Die Protagonisten sprechen kaum, sondern ziehen wort- und ratlos durch die bedrückende Welt. Dies ist als Symptom einer unmenschlichen und vereinzelten Gesellschaft zu sehen, verstärkt aber auch die Statik des Films. Die Kamera bleibt meist unbewegt, Musik gibt es kaum. Statt Dynamik aufzubauen sucht die Kamera in den ruhigen Bildern die Schönheit in der trostlosen Umgebung zu finden. Das gelingt der Bildgestaltung oftmals, leider ist der Film insgesamt etwas zu hell und die Farben fahl.

"Night Train" ist insofern ein erstaunlicher Film, als dass mit ihm ein chinesischer Film die Zustände im modernen China anprangert. Auch wenn sie allgegenwärtig ist, ist die Kritik doch subtil. Die Handlung ist dabei ein Spiegel gesellschaftlicher Missstände: Die Liebesmühen und Einsamkeit der Hauptfigur sind als Zeichen eines fehlgeleiteten Systems zu verstehen - der "entartete" Sex ist Symptom einer entmenschlichten Politik. Darüber hinaus kann die Geschichte jedoch kaum berühren, zu gross ist die poetische Distanz des Filmes zu seinen Protagonisten. Damit ist der Film durchaus schön anzusehen, vermag aber nicht so richtig zu berühren.

13.05.2008

3

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Kommentare

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loomitt

vor 16 Jahren

Netter, erschütternder Film. Regt zum Nachdenken an.


sternchen10001

vor 16 Jahren

erschütterndes und bedrückendes China...


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