Das jüngste Gewitter Dänemark, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Schweden 2007 – 94min.

Filmkritik

Schwedisches Absurdistan

Filmkritik: Cindy Hertach

Dass Roy Andersson Meister skurriler Tableaux vivants ist, hat er bereits in seiner letzten, vielfach ausgezeichneten Groteske und Kapitalismuskritik "Songs from the Second Floor" bewiesen. Sein neustes Werk ist zugleich Meditation und philosophische Reflexion über das Menschsein. Andersson hat nichts weniger als eine absurde, trostlose und gleichzeitig hoffnungsvolle Schaubühne des Lebens geschaffen.

Eigentlich sitzt man während diesem Film im Theater. Die statische Kamera überblickt ungerührt einen spröden, monochrom eingefärbten Bilderbogen, der fünfzig Episoden von unterschiedlicher Länge aneinanderreiht. Belebt wird diese grau-grüne Filmbühne von einem seltsam anmutenden Bevölkerungsquerschnitt. Da gibt es den Tubaspieler, die Lehrerin, den Teppichverkäufer, das Teenagermädchen, den Rockstar, die Alkoholikerin, den Dieb und viele armselige Gestalten mehr. Sie alle erleben burleske und verwirrende Situationen des Alltags, während der Schwede Roy Andersson ("Songs from the Second Floor") sie unbewegt und aus einer Totalen heraus, welche unbarmherzig ihre traurige Umgebung Preis gibt, beobachtet.

Der Anblick der fast ausnahmslos unglücklichen Figuren, die in ihren trostlosen Wohnzimmern und öden Büroräumen ohne sonderlich viel Hoffnung vor sich hindämmern, könnte deprimierender nicht sein, wäre da nicht Anderssons skurriler Humor, der sich fein und augenzwinkernd über die teilweise beinahe schon zur Bewegungslosigkeit erstarrten Szenen legt. Seine Tableaux vivants, so findet er, seien nichts anderes als verschiedene Ausprägungen der "Condition humaine", also Formen der menschlichen Existenz, die er in einem surrealistisch inszenierten Göteborg ansiedelt, wohlwissend, dass das Leben seiner melancholischen Figuren nach einer Kulisse der Tristesse verlangt.

Die bedrückende Atmosphäre verdankt der Film nicht nur der abstrakten Ästhetik seiner stilisierten Bildsprache, sondern auch seiner offenen Erzählstruktur. Andersson bricht bewusst mit der klassischen Dramaturgie und zieht eine Erzählweise vor, die weniger Vorhersehbarkeit denn eine thematische Linie und ein philosophisches Konzept zur Grundlage hat. Dies verleiht dem Film eine visuell faszinierende Transzendenz, die von der Realität in den Traum, vom Alltag in die Utopie gleitet und so eine seltsame Zwischenwelt erschafft, deren Reiz man sich schwer entziehen kann.

17.02.2024

4

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Kommentare

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dieter

vor 16 Jahren

Letzten Dienstag hatte ich keine Lust, mich mit Geschichten von anderen Leuten zu belasten, fast wahre Liebesgeschichten hätten zuviel Kraft gekostet.
You, the Living erzählt viele Geschichten, ist nie langweilig, und am Ende kommt die Welt dieses Filmes noch einige Tage mit, sehr inspirierend, nicht klebrig, macht Lust auf Veränderungen, highly recommendet!Mehr anzeigen


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