1. Mai Deutschland 2008 – 95min.

Filmkritik

Vier Regisseure, drei Geschichten, ein Film

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Dem in Kreuzberg geradezu mythischen Datum 1. Mai widmet sich ein experimentierfreudiges Filmprojekt: Drei Episoden von drei völlig verschiedenen Filmteams schildern diesen Tag aus Sicht mehrerer Figuren - montiert nicht episodenhaft aneinander, sondern ineinander zu einem erstaunlich runden Ganzen verwoben.

Die Landeier Jacob (Jacob Matschenz) und Pelle (Ludwig Trepte) kommen aus dem westfälischen Minden als Krawalltouristen nach Berlin - doch während einer von ihnen wirklich nur einmal im Leben richtig Bambule erleben will, verbirgt sich hinter dem getriebenen Erlebnishunger seines Freundes ein schreckliches Geheimnis. Der kleine Yavuz (Cemal Subasi) will die Anerkennung seines großen Bruders und «einen Bullen plattmachen». Doch dann trifft er auf den Alt-Linken Harry (Peter Kurth) und lernt, wie sehr sich das reale Leben von Parolen unterscheidet und wie Gewalt tatsächlich wirkt. Der frisch von seiner Frau betrogene Bereitschaftspolizist Uwe (Benjamin Höppner) kommt aus der Provinz in den Großstadttrubel und kann sich vor lauter Liebeskummer kaum auf die drohenden Krawalle konzentrieren - auf Rat seiner Kollegen versucht er, in einem Kreuzberger Hinterhofbordell sein Gleichgewicht wiederzuerlangen.

Soweit die Geschichten - damit aus ihnen der angestrebte homogene Langfilm wird, mussten sich die Regisseure (Ludwig & Glaser, Jakob Ziemnicki und Sven Taddicken) nach dem Dreh bei der Straßenschlacht einem Kampf der ganz anderer Art stellen, der «Schlacht im Schneideraum». Hier trafen die berufsmäßigen «Alleinentscheider» auf Kollegen, flogen Fetzen und Türen und montierten insgesamt sechs Editoren das Material zu einem geschickt verschränkten Gesamtplot. Die drei Erzählstränge überschneiden sich bis auf die Kleinigkeit nicht, dass Hannah Herzsprung in zwei Episoden als Punkerin zu sehen ist.

Die von den Produzenten entwickelten Bedingungen besagten außerdem, dass jeder Plot morgens um sechs beginnt, eine Szene im Rahmen der Krawalle spielen muss und alle in derselben Nacht im Kreuzberger Urbankrankenhaus enden.

Vor allem aber: Jede Geschichte musste von einem Protagonisten handeln, der unter großem persönlichen Druck steht und der sich durch den 1. Mai ein Ventil oder gar die Lösung seiner Probleme erhofft. Eine Bedingung, die Nähe zu den Figuren, die emotionales Kino will - doch genau das gelingt nur selten.

Eine sehr distanzierte Sicht auf die Ereignisse des 1. Mai haben die jungen Filmemacher - und so lobenswert eine reflektierte Kritik des «Revolutionsrituals» wäre, so bedauernswert ist, dass die kühle Haltung sich hier im Umgang mit den Protagonisten fortzusetzen scheint. Eindringlich und voller unerwarteter Wendungen geht allein die von Sven Taddicken inszenierte Geschichte um den türkischen Jungen Yavuz wirklich unter die Haut und besitzt zudem einigen augenzwinkernden Charme.

Angesichts der bisweilen insgesamt recht plakativ geratenen Dialoge und dem ein oder anderen Klischee in der Figurgestaltung, ist dieser formal raffinierte, elegant verflochtene Film vor allem als Projekt interessant, weniger als Kunstwerk.

28.04.2008

3

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