Das verlassene Nest Argentinien, Frankreich, Italien, Spanien 2008 – 91min.

Filmkritik

Pein und Schein

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Die Zähne sind schlecht, aber man hat ordentlich zu beissen: Wie sich der junge Argentinier Daniel Burman das Leben eines alternden Schriftstellers vorstellt, der viel im Kopf hat - und wenig schreibt.

"Muss ich wissen, wann meine Tochter ihren Freund poppt?" Von einem verheirateten Schrifsteller um die 50 (Oscar Martínez) darf man erwarten, dass er die grossen Fragen stellt, auch in den eigenen vier Wänden. Aber muss man wissen, was so ein Mensch treibt, wenn er die Krise hat? Wir schmunzeln: Er lässt gern ein rotes Modellflugzeug in den grauen Himmel steigen. Wir runzeln die Stirn: Er trifft sich mit seiner jungen Zahnärztin (Inés Efron) auch mal nicht in ihrer Praxis.

Was sich gerade zu einer platten Altherrenphantasie auszuwachsen anschickt, ist in Tat und Wahrheit komplexer; nicht nur, weil mit Daniel Burman von einem jungen Regisseur ausgedacht, den sie daheim in Argentinien zweier früherer Filme wegen in die Woody Allen-Schublade gesperrt haben. In "El nido vacío" geht es erst in zweiter Linie darum, was genau sich ereignet hat. Die erste Frage lautet: Wie wahr ist, was eben zu sehen war? Hat diese Kleinigkeit, hat jene Peinlichkeit sich so zugetragen, oder hat sie unser Schriftsteller mit seinem naturgemäss prekären Verhältnis zur sogenannten Wirklichkeit nur ein wenig bunter ausgemalt in seinem Kopf?

Gesichert ist dies: Die beiden Söhne sind ausgeflogen; die Tochter wird es ihnen bald gleichtun. Also versucht der Dichter seiner wachsenden Vereinsamung zu entkommen, indem er seinen Ängsten und Träumen, Erinnerungen und Sehnsüchten Platz einräumt, während die Gattin (Cecilia Roth) die leer gewordene Wohnung jeden Abend mit Scharen von Freunden füllt, und die sie mit dem Rauch ihrer Zigaretten. Der ist dem Schriftsteller so lästig wie die Fragen nach seinem nächsten Buch, das nicht mehr denn eine Idee ist - und über weite Strecken der Film, von dem wir's hier haben.

Das ist alles sehr klug aufgezäumt, kommt im lockeren Trab daher und ist von jenem Humor zugeritten, den man durchaus aus jenen amerikanischen Filmen kennt, in denen nervöse New Yorker keine Zeit für Topfpflanzen haben, aber wie verrückt Neurosen züchten. Für die narrative Vertracktheit wurden sogar ein paar poetische Bilder gefunden: Entscheidendes spielt sich hinter Glas ab, manches entzieht sich wieder, kaum scheint es festgehalten. Und noch wenn "El nido vacio" mit seiner Fixierung auf Zähne und tiefgekühlte Backwaren sich arg psychoanalytisch gebärdet - man muss das verstehen: In Buenos Aires ist Sigmund Freud so gefragt wie Diego Armando Maradona. Erst recht, seit der Nationaltrainer ist.

16.11.2009

4

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