CH.FILM

Max Frisch, Citoyen Schweiz 2008 – 94min.

Filmkritik

Die Schweiz und der Tod

Filmkritik: Eduard Ulrich

Der schweizer Filmemacher Matthias von Gunten wagt sich an die verdienstvolle Aufgabe, die Wirkungslinien einer der wenigen international bekannten schweizer Geistesgrössen nachzuzeichnen.

Es gehört schon einige Chuzpe dazu, einen Dokumentarfilm über einen verstorbenen Schriftsteller zu drehen, denn kaum eine Kunst eignet sich so schlecht für eine filmische Darstellung wie die Schriftstellerei. Matthias von Gunten ist klug genug, sich auf den politischen Bürger zu konzentrieren, als der sich Frisch verstand, und der sich immer wieder sowohl zum Tagesgeschehen als auch zum Grundsätzlichen äusserte.

Dabei sieht man Frisch als einen selbst von der Suche nach der eigenen Bestimmung Getriebenen, der seinen frühen Erfolg im Nachkriegseuropa geschickt nutzte, um mit einigen Grössen seiner Zeit wie Günter Grass und Christa Wolf, ins Gespräch zu kommen, ohne sich von fragwürdigen Initiativen vereinnahmen zu lassen. Wer weiss, wie selten Freundschaften zwischen Schriftstellern sind, kann dies als Indiz für Frischs guten Charakter deuten.

Seine Charakterfestigkeit bewies er auch, als er von einem Schriftstellertreffen während des Kalten Krieges in Breslau abreiste, weil dort nur der Westen verurteilt werden sollte. Genützt hat es ihm nichts, schon früh stand er auf der Liste der Schweizer Staatsfeinde und wurde mehr als drei Dutzend Jahre bis kurz vor seinem Tode, als der Fichen-Skandal dieser illegalen Praxis ein Ende setzte, minuziös von Staatsschützern überwacht. Das war besonders bitter, denn die Schweiz war nebem dem Tod eines seiner Hauptthemata.

Die langjährigen Bekanntschaften Frischs nutzt von Gunten, um den überzeugenden Teil seiner Arbeit zu bestreiten. Journalistisch aufbereitet erzählen bekannte Persönlichkeiten, allen voran der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, aber auch die obenerwähnten ZunftkollegInnen und sogar der ehemalige Aussenminister der USA, Henry Kissinger, sowie die engen Freunde Peter Bichsel und Gottfried Honegger von ihren Begegnungen und Gesprächen mit Frisch.

Problematisch sind dagegen die sauber von Reto Hänny gelesenen Passagen aus Frischs Tagebüchern, die man wegen ihrer gedanklichen Dichte wie eine hochkonzentrierte geistige Nahrung im Zeitraffer hinunterschlingen muss, während die Bilder dazu, oft in Zeitlupe, viele, schon oft gezeigte Sujets präsentieren: Den Vietnamkrieg, das zerbombte Berlin, das gesprengte Warschau, Atom- und Wasserstoffbombenexplosionen. Auch wenn von Gunten hier teilweise Material präsentiert, das er aufwendig aus US-amerikanischen Archiven gewinnen musste und das filmisch bisher kaum ausgewertet wurde: Man wird den Eindruck nicht los, dass das Buch ein besseres Medium gewesen wäre.

03.04.2008

3

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Kommentare

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homofaber

vor 16 Jahren

sehr schöne Bilder auf Texten von Max Frisch, besser als jede Biografie


patagonia

vor 16 Jahren

So aktuell ist doch der "alte" Frisch. Empfehlenswert


elias

vor 16 Jahren

Nachdem ich es in meinem literarischen Leben wenigstens geschafft habe, die Klassiker von Frisch zu lesen, mich diese aber(im Gegensatz zu Dürrenmatt`s Werken) nie sonderlich berührt haben, war dieser Film die Gelegenheit den politischen Frisch kennen zu lernen. Der Film lässt viele Zeitgenossen von Frisch zu Wort kommen, welche dem Film wenigstens ein bisschen Leben verleihen. Weiter ist der Inhalt des Film historisch sehr interessant. Es war schon eine bornierte Zeit damals. Vieles was Frisch damals forderte, ist heute(auch dank Frisch) eine Selbstverständlichkeit.Mehr anzeigen


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