Slumdog Millionär Grossbritannien, USA 2008 – 120min.
Filmkritik
Im Zweifelsfalle raten
Danny Boyle hat sein schillerndes Oeuvre um eine Erzählung mit Dickens'scher Prägung erweitert: Ein jugendlicher Waise aus den Slums von Mumbai steht in der indischen Fassung von "Wer wird Millionär?" kurz vor dem Gewinn von 20 Millionen Rupien - und sucht doch nie einen anderen Reichtum als den der Liebe.
Während der Sendepause der indischen Version von "Wer wird Millionär?" wird der achtzehnjährige Waise Jamal (Dev Patel) festgenommen. Es scheint zu unwahrscheinlich, dass ein Jugendlicher aus den Slums von Mumbai so weit hat kommen können. Vier Erklärungen stehen zur Auswahl: A) Er hat betrogen. B) Er hatte Glück. C) Er ist ein Genie. D) Das Schicksal spielt mit. Im Bemühen, Antwort A aus Jamal herauszuprügeln, entlockt der Sergeant (Irfan Kahn) dem Jugendlichen in Rückblenden eine Lebensgeschichte, in der die Mutter als Muslimin vom Mob gelyncht wird, Bruder Salim (Maddhur Mittal) zum Killer heranwächst und seine Jugendliebe Latika (Freida Pinto) auf immer verloren scheint. Glück und Genialität finden wenig fruchtbaren Boden in einem Leben wie diesem, und auch die Liebe hat es schwer. Doch Danny Boyles Hang zur Groteske, aus "Trainspotting" bestens bekannt, führt uns auf verschlungenen Wegen durch die verwinkelten Slums von Mumbai, bis der widerliche indische Anti-Jauch die letzte Frage stellt und über Liebe und Tod entscheidet.
Gute Gründe hätte Danny Boyle gehabt, während den Dreharbeiten sowohl Mercedes wie Coca-Cola in einer seiner cineastischen Kloschüsseln verschwinden zu lassen. Ersterer der beiden Markengiganten hatte dem Briten untersagt, einen prestigeunverträglichen Slumboss mit dem von Mercedes zur Verfügung gestellten Wagen fahren zu lassen. Letzterem war eine geplante Szene für sein Produkt zu schmutzig. Kein Product-Placement, kein Geld. Erwähnenswert ist die kleine Angelegenheit aus dem Set, weil sie die Antagonismen einer Millionenstadt wie Mumbai enthüllt, in der das neoliberalistische Credo die Reichen sehr viel reicher, die Armen ein bisschen reicher macht - und in der die Slumbosse selbstverständlich Mercedes fahren und Cola trinken. Boyle versteht es in "Slumdog Millionaire" zuweilen sarkastisch verspielt, zuweilen mit aller Brutalität in die oft widersprüchliche Welt der Armen und ihrer Herren einzuführen - vielleicht gerade, weil er den Mercedes selber mieten muss.
Wäre man mit seiner Kritik etwas vorschnell, müsste man Boyle jedoch den Vorwurf machen, einer tragisch-schlichten Story à la Oliver Twist zuviel artistisches Filmwerk beigemischt zu haben. Der Film verliert sich immer wieder in ironisch zitierten Stilelementen und (fäkalen) Selbstzitaten. Allerdings könnte man auch dem ehemaligen Weltbankchef McNamara folgen: Absolute Armut definiert dieser als einen Zustand, der unsere Vorstellungskraft schlicht übersteigt. Weshalb als Regisseur versuchen, realistisch zu sein, wo Realität nur erlebt, nicht abgebildet werden kann? Vielleicht kommt der verspielte Künstler auf dem Weg in die Abgründe der Armut mit seinem Handwerk weiter als der nüchterne Dokumentarfilmer?
Slumdog Millionaire ist ein rasantes, bestens unterhaltendes, romantisches, zuweilen verstörendes Werk, das mit dem Publikumspreis des Internationalen Filmfestivals in Toronto und vier Golden Globes bereits reich mit Lorbeeren eingedeckt ist.
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Kommentare
Ein grandioser Film, tolle Bilder aber nicht unbedingt was fuer schwache Nerven!
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