Tokyo! Frankreich, Deutschland, Japan, Korea, Republik (Süd) 2008 – 112min.
Filmkritik
Hauptstadt der Hirngespinste
Früher begannen Witze so: Zwei Franzosen und ein Südkoreaner treffen sich in der Fremde... Die Herrschaften, die hinter "Tokyo!" stecken, sind dem Schabernack durchaus nicht abgeneigt. Da sie aber zudem Ausnahmeregisseure sind, ist ihr Porträt der japanischen Metropole ernst zu nehmen: In ihrem filmischen Triptychon zeigt sich Tokio von seiner bizarrsten Seite. Das ist zweimal ganz nett - und einmal ganz und gar nicht.
Verschlungene Pfade müssen diese Männer zu einander geführt haben, auch wenn sie sich gelegentlich bereits in ähnlichen Territorien bewegt haben. Alle teilen sie sich nämlich eine Vorliebe fürs Fantastische, das in ihren Filmen jedoch meist im Alltäglichen und Kleinen geerdet bleibt. Auch "Tokyo!" bleibt dieser Linie treu, wenn jeder Regisseur sich einer Facette der japanischen Gesellschaft annimmt und sie ins Surreale wendet.
Ganz nett ist Michel Gondrys Auftakt "Interior Design", der einem zugezogenen Pärchen bei seinen Orientierungsversuchen im Millionenmoloch folgt. Der Mann will Regisseur werden (die Vorführung seines Films, eine Art geschwedetes Shinya Tsukamoto-Frühwerk, ist das Highlight der Beitrags) und findet schliesslich doch einen Platz im Hamsterrad; seine Freundin dagegen irrt ziel- und ambitionslos durch die Stadt. Erst spät wird sie vom Gondryschen Touch berührt und in einer verdrehten Schlusspointe ihrer wahren Bestimmung zugeführt.
Ganz nett auch, wie Bong Joon-ho in gemächlichem Rhythmus das Leben eines "hikikomori" inszeniert, jene urbanen Eremiten, die sich in den eigenen vier Wänden von der Gesellschaft abschotten. Bongs Held jedoch wird durch eine hübsche Pizzalieferantin in seiner Ruhe gestört, woraufhin er sich erstmals seit Jahren wieder vor die Türe wagt - und Bong die Gelegenheit gibt, einen Monsterfilm ganz ohne Monster zu drehen.
Monströs geht's dagegen in "Merde" zu, für den Leos Carax nach 10 Jahren Abstinenz in den Regiestuhl zurückkehrt. Unruheherd seines Films ist eine Gestalt (Denis Lavant), in der die japanische Urangst vor allem und allen Fremden zur Godzilla-Grösse angewachsen ist. Merde schreckt Passanten auf und wird zum Medienstar - bis aus seinem Treiben blutiger Ernst wird und er sich in einem grotesken Gerichtsverfahren verantworten muss. Hier wird "Merde" zur Ochsentour für Schauspieler wie Publikum, politisch ultra-inkorrekt und bewusst ätzend (wenn auch nicht frei von galligem Humor) - Carax' Drittel wird definitiv nicht nur Freunde finden. Dafür gelingt ihm, was den souveränen, aber etwas gutmütigen anderen Beiträgen verwehrt bleiben dürfte: Vergessen wird man ihn so schnell nicht.
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