Eine ruhige Jacke Schweiz 2010 – 76min.
Filmkritik
Keine tote Hose
Der 1982 geborene Ramòn Giger drehte sechs Jahre lang an seinem ersten Langfilm, der den im selben Jahr geborenen Autisten Roman Dick in einer wichtigen, punktuell dramatischen Phase seiner Entwicklung begleitet. Giger nutzte dabei das während seines Zivildienstes aufgebaute Vertrauenverhältnis, und es gelingen ihm tatsächlich einige extrem persönliche Szenen. Trotz seiner behutsamen Arbeitsweise drängt sich die Frage auf, ob ein behinderter Mensch so ausgestellt werden darf.
Der Autist hat es schwer in unserer Gesellschaft, die vor allem eines macht: zu kommunzieren. Denn gerade das fällt ihm unendlich schwer, und selbst mit der Methode der unterstützten Kommunikation, bei der ein Gesprächspartner dem Autisten Antwortvorschläge unterbreitet, aus denen er einen passenden wählt, ist der Gedanken- und Gefühlsaustausch harzig. Der Autist ist allerdings nicht nur nahezu stumm, auch seine Wahrnehmung der Umwelt und der emotionalen Signale seiner Mitmenschen ist stark verzerrt. Autisten zimmern sich ihre eigene Welt, die anderen meist verschlossen bleibt. Hier setzt das Werk von Ramòn Giger an, indem es versucht, die Innenwelt eines Autisten auf verschiedene Weisen zu ergründen.
Roman Dick ist ein gutaussehender junger Mann, dem man seine kommunikative Blockade nicht ansieht. Er lebt und arbeitet in einer sozialen Einrichtung, seine Hauptbezugsperson während der Dreharbeiten war der Leiter der Arbeitsgruppe "Wald" Xavier Wirth, der auch maßgeblich am Aufbau dieser Einrichtung mitgewirkt hat. Wirth ist denn auch in fast jeder Szene dabei und übernimmt die Führung seines Schützlings, der durch seine unberechenbaren Aktivitäten wohl die meisten anderen zur Verzweiflung getrieben hätte.
Wirth dagegen erreicht mit seiner Engelsgeduld das beinah Unmögliche: Sein Schützling arbeitet sowohl mit anderen betreuten Jugendlichen als auch mit dem Filmemacher zusammen, der als Zivildienstleistender in dieser Institution die menschlichen Bande knüpfte, welche diesen Film erst ermöglichten und ihm das Thema nahelegten. Dabei darf man Giger bescheinigen, rücksichtsvoll in der oft unvermittelten Nähe mit seinem Filmpartner verfahren zu sein und dennoch heikle Themata wie Dicks erwachende (Homo-)Sexualität nicht ausgeblendet zu haben.
Trotzdem wird man je länger desto mehr das Gefühl nicht los, dass Dick sich der Tragweite seiner Zustimmung nicht vollständig bewusst war. Genauso sieht man die dramatische Wende gegen Ende des Films mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Was sich als Glücksfall für die Regie entpuppt, wird als tragisches Unglück für die Einrichtung entlarvt.
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