L'exercice de l'État Frankreich 2011 – 112min.

Filmkritik

Minister mit Machtinstinkt

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Ein französischer Politiker dient dem Gemeinwohl und seiner Partei, doch ein Unfall verändert ihn und seine Einstellung. Der spannende Film von Pierre Schoeller über politische Mechanismen besticht durch Coolness und Menschlichkeit.

Irgendwo in den Ardennen verunglückt ein Reisebus mit Jugendlichen. Das ruft den Transportminister auf den Plan, den Mitarbeiter mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln. Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet) nimmt die Chance wahr und zeigt Präsenz am Unglücksort. Das kommt gut an bei der Bevölkerung, das bringt Polit-Punkte. Der Minister klettert konsequent die Erfolgsleiter rauf. Er hat seine Prinzipien und zeigt vollen Einsatz.

Szenenwechsel: Nach anstrengendem Tagwerk, Kämpfen in der Partei und Auseinandersetzungen um Privatisierungen von Eisenbahnstationen, Wirtschaftskrise sucht Saint-Jean eines Abends Zuflucht und Geborgenheit bei seinem neuen Chauffeur Martin (Sylvain Deblé). Der ist ein einfacher Mann, vorher arbeitslos, stoisch untertänig, schweigsam. Er erträgt das Leben wie ein Opferlamm, ein vorbestimmtes Schicksal. Der Minister nimmt bei seinem Bediensteten ein Timeout, besäuft sich, darf Mensch sein.

Wenige Tage später fährt Martin auf Geheiss des Ministers zwecks Abkürzung auf einen Autobahnabschnitt, der für den Verkehr noch nicht freigegeben war, und verunglückt tödlich. Saint-Jean überlebt. Das fährt ein und bewirkt eine Sinneskrise. Saint-Jean sieht sich Machenschaften ausgesetzt und schlägt zurück. Dass dabei sein engster Freund und Berater Gilles (Michel Blanc) auf der Strecke bleibt, kann der Politiker nicht verhindern und wählt die Macht, um angestrebte Reformen durchzusetzen.

Im Polit-Psychodrama von Pierre Schoeller (Regie und Drehbuch) geht es im Wesentlichen um zwei Themen: Polit-Strategien und Machtstreben, Menschenachtung und Menschsein. Der Held bleibt zwiespältig - ein Chamäleon, das sich verändert, um über Umwege die Änderungen herbeizuführen, die politisch verweigert wurden? Trotz eines eher fragwürdigen Endes: Pierre Schoeller hat eine verschlungene, gut inszenierte Politparabel geschaffen - über Herr und Knecht, Anspruch und Anforderung. Dass der Mensch dabei irgendwie auf der Strecke bleibt, ist fast unausweichlich. Der subtil, spannende Film gibt Einblicke in Strukturen und Strategien auf höchstem politischen Niveau. Ein kühles Politdrama mit glaubhaften Schauspielern.

18.02.2024

3

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