Avé Bulgarien 2011 – 86min.

Filmkritik

Lügen und Geheimnisse

Filmkritik: Andrea Wildt

In seinem Debütfilm erzählt Konstantin Bojanov auf den Strassen Bulgariens vom Jungsein, Tod und Liebe und schafft ein unbeschwertes und zugleich beklemmendes Porträt der Jugend im postkommunistischen Balkanstaat.

Junge trifft Mädchen. Auch Konstantin Bojanov lässt die Geschichte seines ersten langen Spielfilms mit dieser unaufhaltsamen Konstellation aller Liebesfilme beginnen. Der introvertierte Kamen (Ovanes Torosyan) trifft auf die hübsche Avé (Anjela Nedyalkova). Beim Autostopp steht sie plötzlich hinter ihm und heftet sich an seine Fersen. Für jeden Fahrer, der sie ein Stück auf ihrem Weg zur Beerdigung des Freundes von Kamen mitnimmt, erfindet Avé eine neue Geschichte über ihre Beziehung: Mal ist es der Besuch der krebskranken Oma, mal der im Krieg gefallene Bruder zu dessen Begräbnis beide fahren. Die Probleme und die Liebe scheinen vorprogrammiert.

Die Grundstory ist nicht das Besondere an diesem Film. Erst die feinen Momente undramatisch inszenierter Ereignisse und die subtile Gestaltung der Bilder, die den Film durchziehen und die Fragilität der Figuren für Augenblicke durchscheinen lassen, machen Avé zu einem berührenden Porträt der bulgarischen Jugend. Zwei verletzte Seelen treffen aufeinander, die gemeinsame Reise ins Innere des Landes bringt sie für kurze Zeit zusammen, um sie sodann wieder getrennte Wege ziehen zu lassen. Ihre Geheimnisse werden nie ganz gelüftet. In einem beständigen Hin und Her in der Gegenwart ihres Aufeinandertreffens brechen ihre Lebensgeschichten beharrlich für kurze Momente durch. Doch am Ende überwiegt das Ungewissen über ihre wahre Identität. Diese Offenheit hinsichtlich der Gedanken und der Vorgeschichte seiner Hauptfiguren und das arglose Spiel mit der Wahrheit machen das Spannende an der Geschichte in Avé aus.

Eine weitere Stärke des Films besteht in seinen einfachen, in langen Plansequenzen in den kargen Landschaften Bulgariens eingefangenen, poetischen Bildern. Sie lassen Raum für den Ausdruck der Verletzlichkeit der jungen Liebenden. Zu Beginn akzentuieren die kurzen Schärfentiefen ihre Fremdheit, bis sie in der Liebesnacht in Grossaufnahme nicht nur die Kinoleinwand zusammen teilen. Die jugendlichen Hauptdarsteller spielen ihre Rollen mit überzeugender Natürlichkeit und geben ihren Figuren eine angenehm originelle Note.

Das neue bulgarische Kino ist stark im Kommen. Nicht nur Avé gewann in Cannes 2011 den Preis der "Semaine de la critique", sondern auch The Island von Kamen Kalew und Love.net von Iliyan Djevelekov wurden gekürt. Die desillusionierte Jugend nimmt im aktuellen Kino Bulgariens immer wieder die Hauptrolle ein. Avé macht da keine Ausnahme. Mit seiner Lust aufs Leben begibt er sich hinaus auf die Strasse, ab in die Phantasiewelt des Realismus.

15.08.2012

4

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Kommentare

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erb

vor 12 Jahren

Schlicht, eindrücklich, menschlich.


kinopeitsche

vor 12 Jahren

Gepflegte Tristesse, in die manchmal ein paar sorgfältig abgezählte Sonnenstrahlen einwirken. Nicht unpoetisch. Ein Roadmovie, das vom Irgendwo ins Nirgendwo führt. Kurz: ein Feelgood-Movie für Melancholische.


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