Wer weiss wohin? Ägypten, Frankreich, Italien, Libanon 2011 – 102min.
Filmkritik
Geschlechterkampf im Religionskrieg
Der zweite Spielfilm der Libanesin Nadine Labaki zeigt eindrücklich wirklichkeitsnah eine von Glaubenskriegen zerrüttete Gesellschaft und schwingt sich schließlich zu einer schelmischen Utopie auf, die den Kern des Konflikts wahrlich ad absurdum führt. Viele Laiendarsteller, Labaki selbst in einer wichtigen Nebenrolle, Dreh an Originalschauplätzen und eine betörende Filmmusik von Labakis Ehemann sorgen für Qualität und Authentizität und brachten dem Werk in San Sebastián den Preis für den besten europäischen Film.
Der Libanon wird aus europäischer Sicht als muslimisches Land betrachtet, in Wirklichkeit sind aber zirka 40 Prozent Christen und auch die Mosleme sind gegenüber Europa aufgeschlossen, Französisch ist fast die zweite Landessprache. Dass die Religionsgemeinschaften unzählige Generationen in Frieden miteinander lebten, scheint nach den langjährigen Bürgerkriegen beinah vergessen. Wie könnte ein Weg zurück zum Frieden aussehen, mag sich Nadine Labaki gedacht haben, auch in deren Leben Krieg - einschließlich der israelischen Streubombardierung Beiruts - eine prägende Wirkung ausübte.
Wie verfahren die Situation ist, wird im Hauptteil des Films intensiv an einer abgelegenen Dorfgemeinschaft vorgeführt. Schmerz und Trauer werden zelebriert und an die Grenzen der goutierbaren Darstellung getrieben. Generell wagt Labaki einiges, indem sie zudem noch wohl dosiert singspielartige Einlagen einflicht und die Fragwürdigkeit religiösen Fundamentalismus und Gewalteinsatzes durch den Kakao zieht. Was ihr in der Heimat wohl wenig Freunde eintragen wird, wirkt in Europa, das seine Glaubenskriege ausgefochten hat, ein wenig anachronistisch und teilweise allzu didaktisch.
Das kann man wegstecken, etwas weniger glücklich ist man mit den unverleimten Fugen der Handlungskonstruktion: Da treffen gut ausgedachte und feingeschliffene Ideen auf grobe Klötze und unnötig unrealistische Details. Zudem bleiben die Figuren etwas flach. Entschädigt wird man durch die hohe handwerkliche Qualität der Bilder und die Echtheit der Schauplätze und Laiendarsteller; Labaki selbst spielt dezent und souverän eine zentrale Nebenrolle. Die Kostüme, die ihre Schwester entworfen hat, und die geschmackvoll und passend eingesetzte Musik, die Ehemann Khaled Mouzanar komponierte, stehen dieser handwerklichen Qualität in nichts nach. 2011 in Toronto ließ sich das Publikum davon begeistern und vergab seinen Preis an Labakis Parabel, in San Sebastián überzeugte sie sogar die Jury und erhielt den Preis für den besten europäischen (!) Film.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung