Khodorkovsky Deutschland 2011 – 117min.

Filmkritik

Aufstieg und Fall des M.Chodorkowski

Filmkritik: Eduard Ulrich

Michail Chodorkowski geniesst das Wohlwollen der westlichen Presse. Wenn sich in seinem Fall etwas tut, wird darüber berichtet und die russische Willkürjustiz angeprangert. Nimmt sich ein deutscher Filmemacher dieses Themas an, kann man schon neugierig sein, welchen Zweck er damit verfolgt, denn als Schurken wird er Chodorkowski kaum präsentieren.

Viele werden den Fall Chodorkowski in groben Zügen kennen: Der Aufstieg dieses Chemie-Studenten zum Oligarchen nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union, sein Absturz, als sein Jukos-Imperium von Putin zerschlagen wird, schließlich seine "Verbannung" in ein sibirisches Gefängnis, wo er bis heute einsitzt. Sogar George W. Bush setzte sich für diesen wohl bekanntesten Häftling ein, aber Putin liess nicht mit sich reden. Cyril Tuschi zeichnet den Lebensweg Chodorkowskis nach und versucht so, ein Bild von dessen Persönlichkeit entstehen zu lassen, denn es war bisher nicht möglich, ihn direkt zu sprechen. Fünf Jahre lang recherchierte und interviewte Tuschi, immer wieder versuchte er, einen Gesprächstermin mit den Behörden auszuhandeln. Er befragt ehemalige Studien- und Arbeitskollegen, Familienmitglieder und einen Geheimdienstmitarbeiter, zeigt Aufzeichnungen des russischen Fernsehens und besucht die geschichtsträchtigen Orte.

Die Karriere Chodorkowskis wird in die postsowjetische Ära eingebettet, und Tuschi arbeitet sowohl das Typische für diese Zeit als auch das Besondere an Chodorkowskis Strategie heraus. Dabei fallen Sätze wie "er transformierte die virtuelle Währung der ehemaligen Sowjetunion in Bargeld", die zwar griffig formliert sind und sich gut anhören, aber wenig erhellen. Ebenso sind seine Fragen an Chodorkowski eher banal und teilweise rhetorisch. Ergänzt wird der reale Teil um aufwendige Drahtmodellanimationen, die manchmal zur Analyse komplexer Aktionen herangezogen werden. So stellt Tuschi Szenen nach, wie sie sich abgespielt haben könnten. Das sind visuell beeindruckende Einschübe, aber leider schiesst er dabei übers Ziel hinaus, eine Beschränkung hätte dem ohnhin etwas ausufernden Werk gerade hier gut getan. Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht: Am Ende hat man doch einige Erkenntnisse gewonnen, vor allem einen plausiblen Grund erfahren, warum Putin gerade ihn aufs Korn genommen hat, man ist aber eher weniger von seiner Unschuld überzeugt. Dass der europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Einsprache Chodorkowskis abgewiesen hat, erwähnt Tuschi mit keinem Wort.

18.02.2024

3

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Kommentare

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simpsonb

vor 12 Jahren

tolle doku mit animationselementen - teilweise kommt thrillerfeeling auf, leider ist es keine fiktion...


smallsoldier

vor 12 Jahren

Konnten die Vorpremiere in Anwesenheit des Regisseurs geniessen. Dadurch bekam der Film eine zusätzlich spezielle Note.
Insgesamt äusserst informativ und gut recherchiert. Gibt einem zu denken...
Kann mich Zuckerwättli nur anschliessen: Dafür müsste das neue Genre "Dokthriller" erfunden werden...
Von mir vier Sterne, da fünf nur für ein Meisterwerk abgegeben werden: -)Mehr anzeigen


zuckerwättli

vor 13 Jahren

Extrem spannend, sehr interessant, coole Animationssequenzen. Einer der besten Dokufilme seit Langem, auch wenn es eher ein Politthriller ist.
Nebenbei noch hochaktuell und beängstigend.
Kann den Film nur weiterempfehlen.


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