The Forgiveness of Blood USA 2011

Filmkritik

Blutrache im Computerzeitalter

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

Das Leben und die Träume von Nik und seiner Schwester im ländlichen Albanien unterscheiden sich kaum von dem westlicher Jugendlicher. Doch dann wird ihre Familie in eine Blutrache verwickelt - und nichts ist mehr wie früher.

Widersprüche prallen in Joshua Marstons zweitem Spielfilm von Anfang an aufeinander. Auf der einen Seite fährt der Bauer Mark (Refet Abazi) das Brot mit einem klapprigen Pferdewagen aus, auf der anderen bedienen sich seine Kinder moderner Technologien. Der 17-jährige Nik kommuniziert mit seiner ersten Liebe Bardha (Zana Hasaj) via Handy und träumt von der Eröffnung eines Internet-Cafés, der kleinere Dran vertreibt sich die Zeit mit Videospielen. Doch trotz dieses Einbruchs der Moderne zeigt sich bald, dass das Leben im ländlichen Nordalbanien noch fest von mittelalterlichen Traditionen bestimmt ist.

Denn als Vater Mark, wie seit Generationen eine Abkürzung durch das Grundstück eines Nachbarn einschlagen will, bricht ein Streit aus, an dessen Ende der Nachbar tot ist, erstochen von Marks Bruder, während Mark selbst das Opfer festhielt. Marston zeigt diese dramatische Szene aber nicht, sondern lässt nur darüber berichten. Das Spektakuläre spart der Amerikaner wie schon in seinem preisgekrönten Debüt
Mary Full of Grace*, in dem er vom Schicksal kleiner kolumbianischer Drogenkuriere erzählte, konsequent aus. Der Fokus liegt ganz auf der realistischen Schilderung des Alltags.

Nach diesem Mord ändert sich das Leben der Familie grundlegend. Marks Bruder wird zwar verhaftet, weil er selbst aber in die Einöde flieht, verfällt die Familie dem so genannten Kanun, der in Nordalbanien immer noch herrschenden Blutrache. Sicherheit gibt es für die beiden Söhne von nun an nur noch im Haus, das sie nicht mehr verlassen dürfen. Die Arbeit des Vaters übernimmt dagegen die 15-jährige Tochter Rudina, die mit ihrer Aufgabe an Selbstbewusstsein gewinnt. Bei Nik dagegen lassen das träge Herumsitzen vor Fernseher und Videospielen sowie das langsame Zerbrechen der Beziehung zu Bardha Frustration und Aggression wachsen. Bald zerkratzt er die Wand seines Zimmers, dann fordert er den Vater, der hin und wieder nächtens heimlich die Familie besucht, auf, sich der Polizei zu stellen, und wagt schliesslich einen lebensgefährlichen Schritt.

Sorgfältig recherchierte Marston in Albanien und drehte mit eindrücklich spielenden Laiendarstellern in Originalsprache und an Originalschauplätzen. Mit genauem Blick zeigt er an vielen Details, wie trotz einbrechender Moderne alte Traditionen fortleben, interessiert sich in erster Linie aber nicht für eine differenzierte Durchleuchtung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern für die einfühlsame Schilderung eines Coming-of-Age in einer extremen Situation.

21.02.2011

4

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