Ai Weiwei: Never Sorry USA 2012 – 91min.
Filmkritik
Gesellschafts(über)lebenskünstler
Das ist echte Chuzpe: Alison Klayman wählte für ihren ersten Film mit Ai Weiwei wohl den Künstler mit dem weltweit höchsten Bekanntheitsgrad. Die junge Journalistin berichtete von den Olympischen Spielen 2008 in Beijing, wo sie auch mit ihrem Porträt Ai Weiweis begann, das sie erst 2011 abschloss. Die Gespräche mit dem Künstler, seinen Kollegen und Kennern der Szene werden um Bilder einiger seiner Werke und Aufzeichnungen einiger seiner Aktionen ergänzt.
Dieser Mann ist ein Phänomen: Über 50 Jahre alt, nutzt er die modernen Medien wie YouTube und Twitter virtuos, reüssiert im abgehobenen westlichen Kunstmarkt und kämpft für Informationsfreiheit wie der legendäre Robin Hood gegen einen übermächtigen Staatsapparat. Mit seinem Charisma kann er Gesprächspartner wie Publikum von seinen Anliegen überzeugen und für seine Ziele begeistern.
Diese Seite seines Wesens und Wirkens hat Alison Klayman in ihrem Langzeitprojekt gut abgebildet. Sie und ihre Kamera wurden Teil von Ais Lebensumfeld und begleiten ihn sogar bei privaten Treffen, die nicht Teil seiner künstlerischen und regimekritischen Aktivitäten sind. So lernt man den Menschen Ai Weiwei ein wenig kennen und mit Hilfe seiner spärlichen, aber präzisen und durchdachten Bemerkungen sogar ein wenig verstehen.
Es wäre allerdings vermessen, nach dem subjektiv selektierten und präsentierten Material, ein Urteil über die Qualität seines Werkes und seiner gesellschaftlichen Bedeutung abgeben zu wollen. Das kann man aber nicht nur dem Film ankreiden, denn eine derart komplexe und reife Persönlichkeit lässt sich nicht in eineinhalb Stunden umfassend porträtieren. Man kann aber handwerkliche Mängel wie schlampige Schnitte monieren und ein leises Bedauern anmelden, dass aus diesem dankbaren Sujet nicht mehr als eine biedere Dokumentation gewonnen wurde. Die typischen Gespräche mit einstigen Weggefährten und Kunstsachverständigen sind leider nicht annährend so originell oder erhellend wie Ai selber.
Obwohl man die gesamte Zeit über gut unterhalten wird, liegt die Messlatte durch die Ausnahmeerscheinung Ai hoch, und das Risiko des Scheiterns blitzt unvermutet an anderer Stelle auf. Trotzdem darf man diesem Werk ein zahlreiches Publikum wünschen, denn wie sonst bekommt man einen Eindruck davon, wieviel Ai mit seinen permanenten Provokationen riskiert, die auch in unserer Gesellschaft anecken, wie die Zensur seiner Berner Ausstellung 2005 bewies.
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