Balkan Melodie Bulgarien, Deutschland, Rumänien, Schweiz 2011 – 92min.
Filmkritik
Zeitreise zu exotischen Klängen
Der Schweizer Dokumentarfilmer Stefan Schwietert begibt sich auf eine musikalische Zeitreise hinter den Eisernen Vorhang und fördert Erstaunliches zu Tage.
In den 1970er Jahren gab es ein Westschweizer Plattenlabel namens "Disques Cellier". Mit beachtlichem Erfolg vermarktete es Musik aus Ländern der noch weitgehend verschlossenen Welt hinter dem Eisernen Vorhang. Der grösste Star unter diesen Musikern war der rumänische Panflötenvirtuose Gheorghe Zamfir, ein Mann, der zu jener Zeit in Schweizer Wohnstuben bald Kultstatus erreichte, weil er mit seinem Instrument exotische Sehnsüchte nach dem Ursprünglichen und Reinen bediente, aber auch, weil er mit seiner stupenden Technik von schneller, höher, lauter jene begeisterte, die in Musik zirkusartistische Rekorde suchten.
Die Wiederbegegnung mit dem mittlerweile 71-jährigen Musiker ist einer der bleibenden Eindrücke des Films. Zamfirs Geschichte ist exemplarisch für Aufstieg und Fall eines genialen Instrumentalisten. Denn heute ist er längst vergessen, er unterrichtet an einer Musikhochschule in Bukarest. Im Film gibt er in einem Interview Abstruses von sich, wenn er von der reinigenden Kraft der Panflötenklänge schwärmt, mit der man die heutige Welt von musikalischem Schmutz befreien könne.
Hinter Zamfirs kometenhaftem Aufstieg steckte der Waadtländer Marcel Cellier, auch er ist eine Hauptfiguren in Balkan Melodie. Cellier war Anfang der 1950er Jahre Vizedirektor einer Metallfirma, in dieser Eigenschaft reiste er erstmals nach Osteuropa. Als er 1968 Zamfir kennenlernte, konnte er seine Leidenschaft zum Beruf machen, er gründet "Disques Cellier". Zamfir wird zum Weltstar, später verkrachen sich die beiden. In den 1980ern hat Marcel Cellier mit dem Frauenchor "Le mystère des voix Bulgares" erneut einen vergleichbaren Welterfolg – in musikalisch weniger seichten Gefilden - und 1990 gewinnt er damit als erster Schweizer gar einen Grammy.
Heute sind sowohl die noch rüstigen Celliers wie auch ihre Stars vergessen. Regisseur Stefan Schwietert, der spätestens seit A Tickle in the Heart ein Experte für fremde, und seit Das Alphorn auch einer für einheimische Musikkulturen ist, hat Balkan Melodie als mehrschichtige Spurensuche angelegt. Dabei kommt er mit viel Archivmaterial, Filmausschnitten, privatem Super-8-Material von Cellier, Radiosendungen auch immer wieder auf die politische Situation während des Kalten Krieges zu sprechen. Der Film versucht hier aufzuzeigen, welche Rolle die staatlich geförderte Volksmusik in den kommunistischen Ländern hatte, und er zeigt andererseits auch, wie sich die total veränderte Situation dort heute präsentiert. Auch wenn der Film dabei bisweilen Gefahr läuft, sich in der Überfülle an Material zu verlieren, so ist Balkan Melodie dennoch eine spannende und vergnügliche musikalische Zeitreise, die immer wieder Erstaunliches zu Tage fördert.
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Kommentare
Fand ich toll! Wenn auch teilweise vielleicht etwas langatmig - die Beiträge waren pointiert. Habe danach stundenlang die Geschichte Rumäniens recherchiert. Wer Verwandte aus dem Ostblock hat, dem geht an manche Stellen ein Lichtlein auf.
Wieso ist dieser Film der beste in der "blauen" Kategorie? Der ist gerade mal bei 3. 42 und hat nur 12 Bewertungen... Verstehe nicht ganz, dass sowas dann als bester Film in dieser Kategorie angesehen wird bei Filmen wie "More than Honey".
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