Hannah Arendt Frankreich, Deutschland, Luxemburg 2012 – 113min.
Filmkritik
Denken gegen das Böse
Die deutsche Regisseurin Margarethe Von Trotta zählt zum exklusiven Kreis von Filmschaffenden, die komplexe historische Persönlichkeiten über das Plakative hinaus porträtieren können. Nun widmet sie sich magistral der jüdisch-deutschen Philosophin Hannah Arendt, die nach dem 2. Weltkrieg die Debatte zum Thema Holocaust befeuerte.
Hannah Arendt, Studentin und Geliebte des wegen seiner Haltung zum Nationalsozialismus umstrittenen Philosophen Martin Heidegger, emigrierte in der Hitlerzeit 1941 in die USA, wo sie als Dozentin und Autorin wirkte. 1961 beobachtete sie für das "The New Yorker"-Magazin den Prozess gegen den SS-Obersturmbannerführer Adolf Eichmann, einem der Hauptverantwortlichen für den Genozid an sechs Millionen Juden. Nach Eichmanns Verurteilung und Hinrichtung publizierte Arendt 1963 die Artikelserie "Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht von der Banalität des Bösen". Der provokante, polarisierende Aufsatz erregte weltweit Aufsehen und löste, nicht nur in jüdischen Kreisen, einen Sturm der Entrüstung aus: Man unterstellte Arendt unter anderem eine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen.
Margarethe Von Trotta schildert die vier Jahre, in denen Arendt mit den Debatten über ihr Werk konfrontiert wurde. Kammerspielartig werden private Momente - mit dem zweiten Ehemann, mit amerikanischen, deutschen, israelischen Freunden - sowie Konflikte mit den Arbeitgebern an der Universität von Chicago oder dem israelischen Geheimdienst aufbereitet. Im Fokus steht Hannah Arendt, die von Barbara Sukowa mit magnetischer Kraft verkörpert wird. Fern von Effekthascherei formt sie den ebenso sperrigen wie fragilen Charakter der blitzgescheiten Denkerin aus. Kongenial eskortiert wird sie dabei von Kollegen wie Axel Milberg, Ulrich Noethen, Michael Degen oder Julia Jentsch.
Von Trottas Annäherung an eine mutige Denkerin ist keine leichte Kost. Die Thematik ist unvermindert brisant und verlangt einem Publikum, das mit den historischen Gegebenheiten eher weniger vertraut ist, viel ab. Obwohl Originalaufnahmen zum Eichmann-Verfahren eingespielt werden, hätte man sich da und dort eine Prise Zusatzinformationen zur geschichtlichen Einordnung des Geschehens gewünscht. Das schmälert aber den Gesamteindruck nicht: Von Trottas Arbeit ist die überfällige Hommage an eine Sinnsucherin des 20. Jahrhunderts, die sich als Intellektuelle und Frau von niemandem verbiegen liess. Ganz gemäss ihrem Credo: "Das Böse kann nicht banal und radikal zugleich sein. Das Böse ist immer nur extrem, niemals radikal. Tief und radikal ist immer nur das Gute." Es gibt Filme, denen man sich stellen sollte. Hannah Arendt ist so ein Film.
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Kommentare
Solide Umsetzung, sicher sehenswert für die, die auch nicht gleich eine Gesamtbiografie erwarten.
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