Leb wohl, meine Königin! Frankreich, Spanien 2012 – 100min.

Filmkritik

Revolution als Makulatur

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Im Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale zeigt Benoît Jacquot die Französische Revolution aus der Sicht einer Bediensteten von Marie Antoinette, gespielt von Diane Krüger. Die historische Romanverfilmung bleibt aber hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Es ist ja so eine Sache mit historischen Ereignissen: Historiker durchforsten akribisch zeitgenössische Quellen, stellen die Fakten in nationale und globale Kontexte und dann bleiben eine handvoll Akteure und irrsinnig viele Jahreszahlen übrig, die von Schülern auswendig gelernt werden. Irgendwann später macht jemand einen Film oder einen Roman aus dem Stoff und dann scheint das Interesse am Ereignis auch gestillt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass schon seit längerer Zeit historische Ereignisse von hintenherum bzw. von der Seite erzählt werden, indem man den Protagonisten einfach eine (fiktionale) Figur zur Seite stellt und so einen neuen Blickwinkel hat.

Auch der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, Les adieux à la reine von Benoît Jacquot, erzählt Geschichte aus einer anderen Perspektive. Der gewohnte Alltagstrott am Hofe Ludwig XVI. wird von einer beunruhigenden Nachricht gestört: Das Volk habe sich bewaffnet und die Bastille gestürmt. Es ist Juli 1789. Die junge Sidonie Laborde lebt ebenfalls im Schloss Versailles. Sie ist als Vorleserin für Marie Antoinette angestellt und gehört somit zum engeren Kreis der Entourage der Königin. Sidonie ist beunruhigt über die Entwicklungen im Lande, denn sie verehrt ihre Herrin. Und während auf der einen Seite versucht wird, die Ereignisse herunterzuspielen, werden bereits Fluchtpläne geschmiedet.

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Chantal Thomas erzählt Jacquot anhand der Bediensteten im Schloss Versailles von den Anfängen der Französischen Revolution. Dabei versucht er vor allem, die bedrohliche Ungewissheit stilistisch umzusetzen: Sidonie bewegt sich stets raschen Schrittes durch das Schloss und wird mit wackelnder Kamera verfolgt, immer wieder musikalisch untermalt von dissonanten Streichern. Das schafft zwar die gewollte Stimmung der Unruhe, Spannung vermögen diese Kunstgriffe allerdings nicht zu generieren.

Die betonte Beiläufigkeit des geschichtsträchtigen Ereignisses spiegelt sich leider auch in der Dramaturgie wider. Jacquot verliert sich immer wieder in der großen Unruhe, lässt seine Protagonistin durch die bedeutungslos erscheinenden Säle und Flure hetzen und das Getuschel und die Mutmaßungen über die Revolution aufschnappen. Zum großen Teil agiert Sidonie als passive Beobachterin und Zuhörerin, wodurch eine Identifikation seitens des Zuschauers verwehrt bleibt. All die einzelnen Momente der Inszenierung sind zwar logisch erklärbar, jedoch funktionieren sie in ihrer Summe nicht.

Zudem interpretiert Diane Krüger ihre Marie Antoinette leer und inhaltslos - leider nicht im positiven Sinne. Gerade die Rolle der betont desinteressierten, in Modemagazinen blätternden und Stickereien ordernden Monarchin, die zugleich hellwach das Ausmaß der Rebellion des Volkes begreift, hätte einer intensiveren Darstellerin bedurft. Ein Symptom, an dem Les adieux à la reine generell krankt: man bekommt die Idee, was für ein großartiger, flirrend-beunruhigender Film es hätte werden können, atmet aber nur den schalen Duft der Revolution.

07.05.2024

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Kommentare

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8martin

vor 7 Monaten

Ein Historienfilm der unaufgeregten Art, aber mit prächtigen Kostümen, Parkanlagen, Adligen und Bediensteten. Frauen stehen im Mittelpunkt der Handlung. Allen voran die königliche Vorlesering Sidonie (Léa Seydoux). Sie hat ein liebevolles Verhältnis zur Königin Marie Antoinette (Diane Kruger), das über die bloße Verehrung weit hinausgeht. Am Ende (s. Titel) wird sie ihr einen letzten Liebesdienst erweisen und als ihre Freundin Gabrielle (Virginie Ledoyen) verkleidet das Land verlassen. Marie Antoinette hatte eine beinahe lesbische Beziehung zu ihr.
Die Stärke dieses leisen Films ist die Atmosphäre. Es kursieren Gerüchte und geflüsterte Andeutungen unter den Bediensteten, die keinen aktiven Anteil am aktuellen Geschehen haben. Die Unruhe auf den Fluren bringt die Unsicherheit gut rüber, Sidonie redet sogar von ‘Angst‘. Die Mädels stehen immer wieder am Fenster und beobachten das Geschehen der ‘Großen Welt‘. Eine hat etwas aufgeschnappt ‘Brot‘ (man weiß von Brotknappheit um 1789 und man kennt auch Marie Antoinettes zynische Antwort darauf ‘Wenn sie kein Brot haben, sollen sie halt Kuchen essen‘.)
Sidonies alter Vertrauter Jacob (Michel Robin), ein Bibliothekar, weiß sogar, dass das Volk ‘Brot und die Macht‘ will. Alles kriegen die Mädels ja nicht mit, weil sie z.B. kein Englisch verstehen. Nur das Wort ‘Bastille‘ haben sie aufgeschnappt.
Diane Kruger spielt die Königin etwas aufgefächert: freundlich bis zickig, autoritär und anlehnungsbedürftig. Sogar mit glitzernden Tränen. Sie wagt unsympathische Passagen und kommt auch schon mal ungeschminkt daher. Sidonie bleibt pflichtbewusst und opfert sich. Ehrerbietig schlägt sich die Augen nieder und macht einen Hofknicks.
Beruhigend angenehm dieser feminine Blickwinkel.Mehr anzeigen


Patrick

vor 7 Jahren

Schöne Kostüme und tolle Darsteller deswegen gibt's für das Dialoglastige und Langweilige Kammerspiel doch noch 2 Sterne.


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