Les invisibles Frankreich 2012 – 115min.

Filmkritik

Leben und Lieben im Abseits

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Sie sind schwul oder lesbisch, und leben im Verborgenen, im Abseits – in der französischen Provinz. Diese Männer und Frauen, alle weit über 70 Jahre alt, legen Zeugnis ab über ein ausgegrenztes Leben. Sébastian Lifshitz dokumentiert ihre Schicksale.

Das Plakat mag auf den ersten Blick irritieren. Zwei nackte Frauenkörper, von hinten abgelichtet, und darüber der Titel Les Invisibles. Welche Absicht steckt dahinter? Der französische Filmer Sébastian Lifshitz erklärt es so: Er setze Menschen ins Licht, die man aus den Augen verloren habe, die scheinbar unsichtbar geworden seien. Dass dem nicht so ist, dokumentiert sein Film über Männer und Frauen, die auf die 80 zugehen. Leben, die jahrzehntelang im Verborgenen stattfanden, die von gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen geprägt wurden, die entbehrten, weil diese Menschen ihre Begehren, ihre Neigungen erst spät ausleben konnten.

So liebevoll wie sie sich gegenseitig helfen und stützen, so helfen sie auch einem kleinen Tierchen, aus dem Eis zu schlüpfen. Yann und Pierre haben sich gefunden. In ihrer Zweisamkeit, nicht ohne Widerhaken, fallen so wundervolle Sätze wie "Der Lärm deines Schweigens stört mich." Elisabeth und Catherine haben ein verfallenes Gehöft vor 35 Jahren zu neuem Leben erweckt und eine Ziegenherde aufgezogen. Eine war Ehefrau, Mutter und konnte erst spät ihre Liebe zu Frauen leben. Jahrzehnte hatte sie ihr Verlangen unterdrückt, im Verborgenen, im Verschämten gelebt. Ein anderer floh in jungen Jahren an den Südpol, um seine Homosexualität zu "betäuben", um "seine Geschichte, seine Gefühle auf Eis zu legen", wie er im Film sagt. Jetzt leben Bernard und Jacques zusammen.

Die frühen Jahre haben bei allen Narben hinterlassen. Eine der Gesprächspartnerinnen erzählt, dass sie ein unerwünschtes Kind gewesen sei: "Meine Mutter wollte mich nicht. Doch ich war zum Leben bestimmt." Bei der Begegnung mit dem stillgelegten Bahnhof Auxy Juranville brechen alle emotionalen Dämme: "Die Mauern haben ein Gedächtnis." Was genau sich dazumal bei wem zugetragen hat, erfährt man nicht.

Sébastian Lifshitz' etwas überlanger Film spart aus - und das ist gut. Homo- und Lesbenbewegungen sowie politische Kämpfe spielen nur am Rande eine Rolle. Der Filmemacher konzentrierte sich massgeblich auf seine drei Paare und wenige Einzelpersonen. Er fand offene Partner, die ihre Befindlichkeiten, ihre Schicksale und späte Erfüllung bewegend schilderten. Kameramann Antoine Parouty fand immer wieder wunderbare Bilder und Orte, um die Aussagen einzubetten – eine leere Kapelle im Abseits oder ein Kornfeld beim erwähnten Bahnhof, wo man die Schienenstränge erahnen kann. Eine wunderbar menschliche Spurensuche, die im Heute mündet.

03.05.2024

4

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Kommentare

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gefuehlsmensch

vor 10 Jahren

schön.


reinhard49

vor 11 Jahren

Ich finde den Film gelungen.


gefuehlsmensch

vor 11 Jahren

guter Film, der sich mit dem Thema gleichgeschlechtliche Liebe befasst.


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